22 Jul New York 1973: Disco, Salsa, Punk, Hip Hop
New York ist ein Rattenloch. Die Stadt ist 1973 beinahe bankrott. In Ruinen entstehen dort Disco, Salsa, Punk und Hip Hop.
[Beiträge erstmals ausgestrahlt im Ö1 Radiokolleg, Dezember 2022]
Die Polizei ist korrupt, Häuser stehen leer, Lehrer streiken, Kanalarbeiter streiken und die U-Bahnen sind vollgesprüht. Fast eine Million Menschen haben Manhattan innerhalb von etwa fünfzig Jahren verlassen. Der Großstadtdschungel – Greenwich, Harlem, das East Village und die Bronx – bietet den fauligen Humus für einen Urknall der Popmusik. Sie wird in ihren buntesten Communities neu erfunden. Etwa in der Wohnung von David Mancuso – bald als The Loft bekannt -, wo mit dessen außergewöhnlichen Diskografie Parties gefeiert werden. Disco wird bald zum Sound der Stunde. Einige Blocks weiter sperrt mit dem CBGB’s die Keimzelle von US-Punk auf. Weiter nördlich feiern Teenager die erste Hip Hop Party. Und nicht zuletzt bekommen lateinamerikanische Tänze mit dem Begriff “Salsa“ eine klar urbane Note.
Disco
“Paaar-ty! Paar-ty!”, so leitet Vince Aletti seinen bahnbrechnenden Artikel für den Rolling Stone im September 1973 ein, in dem er erstmals die Disco-Bewegung beschreibt. Diskotheken wären mit voller Wucht zurück, schreibt er – und führt die Leser:innen in eine verborgene Welt, in der ein vorwiegend schwarzes, latin und schwules Publikum zu ganz diverse Musikstile – Funk, europäische Importe, westafrikanische und afrokaribische Vinyls – nächtelang feiert. Radios und Labels springen rasend schnell auf. Zwei Jahre sind in den mittlerweile rund 300 Discos der Stadt etwa 200.000 Leute an einem Wochenende unterwegs. Sie tanzen in Ruinen.
Salsa
Salsa gibt es bereits viel länger. Aber vor fünfzig Jahren finden ein paar Lateinamerikaner in New York eine griffige Bezeichnung, um all die karibischen Musikstile zusammenzufassen, die mit der Arbeitsmigration in die Stadt gelangen. Mambo und Yambú, Cha-Cha-Cha und Rumba, Guaracha, Pachanga und Merengue vermischen sich in New Yorker Salsa, zu einem Stil, der vor allem in Tanzsälen, auf Festen und in Schulen lebendig wird. Die Gruppe Fania All-Stars füllt 1973 ein New Yorker Football-Stadium und wird zu den Aushängeschildern einer hybriden Identität von vielen Lateinamerikanern in New York.
Punk
Im CBGB’s treten bald schon die wichtigsten Punk-Bands der USA auf, Patti Smith, Richard Hell, die Ramones, Iggy Pop und die Stooges, Blondie und viele mehr. Das Lokal ist innen bedeckt mit Stickern und Graffiti, die Gegend ist eine der schlimmsten und gefährlichsten in Manhattan. Im Sommer stürzt das Mercer Arts Center in Greenwich Village ein, in dem zwei Jahre lang viele Künstler:innen und Musiker:innen aufgetreten sind. Sie suchen eine neue Bleibe und finden sie im CBGB’s. Während im Rest der USA die klassischsten aller Classic Rock Songs geschrieben werden, vermischen sich Energie, Selbermachen und Amphetamine zu einem brandheißen Cocktail.
Hip Hop
Im Sommer findet in einem Häuserblock in der südlichen Bronx eine Revolution statt. Der schwarze Teenager DJ Kool Herc hatte schon einige Monate lang auf Parties gezielt die rhythmischen Breaks bestimmter Funk- und Soul-Platten angespielt. Auf zwei Plattenspielern wiederholt er diese Loops mit zwei Versionen desselben Breaks. Beim Back To School Jam in der 1520 Sedgwick Avenue aber beginnt er, kurze Passagen zu rappen. Seine Parties ziehen bald Massen an, auch weil er das lauteste Soundsystem in der Gegend besitzt. Hip Hop hat nichts erfunden, aber alles neu erfunden, wird Grandmaster Caz sagen. Neun Jahre später erscheint mit “Rappers Delight” der erste globale Rap-Hit und Jahrzehnte später ist Rap die größte Musikrichtung des Planeten.
Interview-Partner:innen
Interview-Partner:innen sind bzw. O-Töne sind zu hören von Vince Aletti (Autor The Disco Files 1973–78: New York’s Underground Week by Week), Jeremy Gilbert (Podcast Love Is The Message), Noel Hankin (Disco-Betreiber The Best Of Friends und Autor Disco After Dark: Birth Of The Disco Dance Party), Derrick Washington (Kurator Rhythm & Power: Salsa in New York), Frances Aparicio (emeritierte Professorin lateinamerikanische Studien und Autorin Listening to Salsa: Gender, Latin Popular Music, and Puerto Rican Cultures), Chris Molina (Betreiber Salsa Schule in Spanish Harlem), Andrew Berman (Vorstand Greenwich Village Society For Historic Preservation), Ryan Purcell (Autor), Legs McNeil (Autor Please Kill Me – The Uncensored Oral History Of Punk), Mighty Mike C (Musiker Fearless Four), Jeff Chang (Autor Can’t Stop Won’t Stop – A History of the Hip-Hop Generation)