02 Jan Kanadas Musik-Ikonen: Celine Dion, Buffy Sainte-Marie, Grimes, Shania Twain
Kanada ist in der Popmusik zur Supermacht geworden. Das liegt neben gezielter Förderung auch an Musik-Ikonen wie Celine Dion, Buffy Sainte-Marie, Grimes und Shania Twain.
[Beiträge erstmals ausgestrahlt im Ö1 Radiokolleg, Dezember 2022]
Musiker wie Drake, The Weeknd oder Justin Bieber – alle von der Halbinsel Ontario – dominieren internationale Charts wie auch Streaming-Plattformen. Früher war das nur in Ausnahmen so. Anfang der 1970er wurden Quoten fürs Radio beschlossen und kanadische Musikpreise erfunden, um sich gegen die US-Übermacht zu behaupten. Als zur Jahrtausendwende hin die französischsprachige Bevölkerung Québecs mit Abspaltung droht, feiern vor allem Frauen mit Rock, Pop und Chanson internationalen Zuschnitts große Erfolge. Kanadas Musik Ikonen wie Celine Dion und Shania Twain stehen im Fokus dieses Radiokollegs, wie auch die deutlich ältere Cree Buffy Saint-Marie wie auch die höchst eigenwillige Post-Internet-Musikerin Grimes.
Celine Dion
Celine Dion ist die erfolgreichste kanadische Musikerin aller Zeiten. Am Anfang ihrer internationalen Karriere, 1991, soll sie einen Preis für die beste englischsprachige Künstlerin bekommen. Sie lehnt ab, denn das Publikum hätte schon verstanden, dass sie keine Künstlerin ist, die auf Englisch singt, sondern stolz ist, dass sie aus Quebec kommt. In diesen Jahren ist oft die Rede von der Unabhängigkeit, die rund sieben Millionen Menschen entlang des Sankt-Lorenz-Stroms erlangen könnten. Ihre Songs handeln von emotionaler Unabhängigkeit, während sie französische Chansons mit einigen Alben auf Englisch in die Welt reintegriert. In nigerianischer oder jamaikanischer Musik wäre ihr Einfluss unüberhörbar, berichtete das Magazin Vice, das wenige Kilometer von Dions Geburtsort entfernt in Montreal gegründet wurde, Jahre später.
Buffy Saint-Marie
Nicht viele Musikerinnen können behaupten, eine spirituelle Führungsfigur zu sein. Als der Vietnamkrieg Anfang der 1960er eskaliert, singt die junge Cree auf großen Bühnen über Soldaten wie auch über Schmerzmittel, sie freundet sich mit Bürgerrechtsaktivist:innen an, gründet eine Stiftung für die Ausbildung der indigenen Bevölkerung und verhilft Joni Mitchell zu einer Karriere. Über ihr Album “Illuminations“ von 1969 schreibt das britische Wire-Magazine später, dass es seiner Zeit mit okkulter Elektronik um Jahrzehnte voraus gewesen wäre. Ein Jahr später wird aus ihrem Titelsong zum Film über ein Massaker an den Cheyenne ein internationaler Hit. Einen Oscar erhält sie allerdings erst nach einer längeren Pause, in der sie bei der Sesamstraße für mehr Sichtbarkeit von Indigenen im Land sorgt. Buffy Saint-Marie wird erst im hohen Alter mit zahlreichen Preisen geehrt, so etwa für ihr jüngstes Album, das sie mit fast 75 Jahren veröffentlicht.
Shania Twain
Heute Abend führt sie sich gar nicht politisch korrekt auf, singt Shania Twain, sondern verrückt. Vielleicht zieht sie sich sogar ein Hemd an oder einen Minirock. Der Song “Man I Feel Like A Woman“ von 1997 fordert nicht sehr viel und ist in der konservativen Welt des Country trotz seiner Rollenverteilung mit zwei traditionellen Geschlechtern eine kleine feministische Revolution. Das dritte Album von Shania Twain zielt auf großen Pop ab. In den unbeschwerten Clinton-Jahren erreicht die Musikindustrie ihren kommerziellen Zenith, bevor mit Napster und Co. die Umsätze in den Keller. Mit dem Album “Come On Over” wird ein neuer Typus Country-Pop-Star geboren, der etwa Taylor Swift erst möglich gemacht hat. Selten ist die Welt der ländlichen Kleinstädte Nordamerikas in so simplen Worten und mit so blendender Opulenz eingefangen worden.
Grimes
2012 treibt Grimes mit dem Song “Oblivion“ die Geister aus, die sie seit einem sexuellen Übergriff verfolgen. Das Trauma männlicher Gewalt verwandelt sie in etwas, das fröhlich und harmlos klingt. Im Video sieht man Footballspieler und Motocrossfahrer in ihren leichten Rüstungen durch zwei Stadien in Montreal fahren und aufmarschieren. Das dazugehörende Album “Visions“ schreibt und produziert sie in nur zwei Wochen in einem abgedunkelten Zimmer in Montreal. Sie isst wenig und nimmt umso mehr Drogen. “Visions“ wird ihr Durchbruch. Am Höhepunkt des Tech-Booms der frühen 2010er Jahre schöpft die Musikerin im zweisprachigen Montreal passende Bilder und Töne für ein Zeitalter, in dem Algorithmen neue soziale Verbindungen bestimmen. Wie soll man in diesen neuen Zeiten leben, mit welchen Träumen und Ideen, schien die Künstlerin zu fragen. Diese Hyperrealität, die sich auf Covers und in Videos offenbarte, war chaotisch, widersprüchlich und vor allem verführerisch.
Interview-Partner:innen
Interview-Partner:innen sind bzw. O-Töne sind zu hören von Andrea Warner (Journalistin, Autorin von “Buffy Sainte-Marie: The Authorized Biography“), Baylen Leonard (Journalist, Absolute Radio Country), Buffy Sainte-Marie (Musikerin), Jenna Glatzer (Autorin von “Celine Dion: For The Keeps“), Natalie Weiner (Journalistin, New York Times, NPR, uvm.), Sebastian Behrlich (Literaturwissenschafter, Universität Siegen), Sebastian Cowan (Labelbetreiber, Arbutus Records), Shaneen Robinson-Desjarlais (Indigenous Music Development Coordinator, Manitoba Music)