10 Nov Sweet Soul Music: Aretha Franklin, Detroit und das Civil Rights Movement
Die späten 1960er Jahre waren für schwarze Bürger der USA außergewöhnlich blutig. Da eröffentlicht Aretha Franklin “Lady Soul” – ein Album mit Black Power.
[Teil Eins des Ö1 Radiokollegs zu “Sweet Soul Music – Vier Alben mit Black Power”]
In Detroit drückt die Hitze, heißer als die Hölle soll es gewesen sein, sagen Augenzeugen. Es ist Sommer im Jahr 1967. In Detroit sind die Stadtviertel noch stärker segregiert als in den Südstaaten, Armut ist allgegenwärtig, Polizeigewalt ebenfalls. Bei einer nächtlichen Feier in einer illegalen Bar, einem sogenannten blind pig, werden alle Feiernden von der Polizei verhaftet, über 80 Menschen. Ein Funke springt über, er entzündet sich, in der Hitze der Nacht brechen Unruhen aus. Manche sagen auch Rebellion zu diesen fünf Tagen, die folgen, oder Aufstand. Am Ende ist die Polizei nicht mehr Herr der Lage, die Nationalgarde muss einrücken, 43 Menschen sind tot, über tausend verletzt und mehr als 2000 Gebäude sind zerstört.
“Einige Feuerwehrleute haben zwei Tage nicht geschlafen, sie rochen nach Rauch, die ganze Stadt roch nach Rauch. Die Scharfschützen waren in dieser Nacht unterwegs, so wie die Nationalgarde. Auch sie hatten nicht viel geschlafen, die Hand immer am Abzug. Sie hatten zwei Verletzte in ihren Reihen, sagte ein Offizier, und ein Feuerwehrmann wurde getötet. Die Nacht war heiß; und hässlich”, so ein Sonderbericht des Nachrichtensenders NBC.
Anfang des Jahrhunderts wohnten erst ein paar tausend Menschen schwarzer Hautfarbe in der Stadt. Mittlerweile sind es über eine halbe Million. Die boomende Industrie hat viele in den Norden gelockt, in Detroit sind es vor allem die Autos. Die Stadt ist ein Zentrum afroamerikanischer Kultur. Auch die junge Sängerin Aretha Franklin wohnt hier. Ihr Vater ist der bekannte Pastor CL Franklin, der Mann mit der “Million Dollar Voice“, wie es heißt. Er marschiert vier Jahre vor diesen blutigen Unruhen des Sommers 1967 mit Martin Luther King bei einem der größten Protestmärsche, den die Stadt je gesehen hat, friedlich durch Detroit. Immer wenn Martin Luther King in der Stadt ist, übernachtet er bei den Franklins. Beim Protestmarsch hält er eine Rede vor über hunderttausend Menschen. Er erzählt von einem Traum, einem amerikanischen Traum, dass eines Tages die Söhne von Sklaven und Sklavenhaltern brüderlich zusammen leben werden.
Martin Luther King: “And so this afternoon, I have a dream. It is a dream deeply rooted in the American dream. I have a dream that one day, right down in Georgia and Mississippi and Alabama, the sons of former slaves and the sons of former slave owners will be able to live together as brothers. I have a dream this afternoon that one day …”
Für diesen Traum marschieren die Menschen. Und beim Marsch auf Washington, bei dem Martin Luther King seine Rede noch einmal hält, hört das ganze Land von diesem Traum. In Detroit hatte sich der Vater von Aretha Franklin dafür eingesetzt, dass auch Menschen weißer Hautfarbe mitmarschieren sollten, wie etwa der Bürgermeister der Stadt. Nicht alle finden das gut, es gibt auch Aktivisten, die das ablehnen. Ein Spalt durchzieht die USA, es gibt radikale und gemäßigte Kräfte. Früher wollten die meisten Integration. Jetzt werden die Rufe nach “Black Power” immer lauter. Im Sommer 1967 wird dieser Spalt für alle sichtbar, mehr noch, eine tiefe Kluft.
“People Get Ready“ ist eine Coverversion vom Album “Lady Soul” aus dem Jahr 1968. Aretha Franklin verwandelt den Song in eine hoffnungsvolle Predigt. Auch der Song “Respect“ wurde zuerst von jemand anderem gesungen, von Otis Redding. Aretha Franklin drückt dem Song ihren Stempel auf, sie macht daraus eine Hymne, nicht nur für die Bürgerrechtsbewegung, sondern später auch für Frauenbewegungen rund um die Erde. “Sock It To Me, sock it to me, sock it to me“ singt der Chor Stakkato-artig. Das ist Slang dieser Zeit, es heißt, gib es mir, sexuelle Untertöne sind dabei nicht ausgeschlossen. Und so ähnlich ist das auch beim Cover von “Son Of A Preacher Man“ zu hören.
Aretha Franklin sollte “Son Of A Preacher Man” ursprünglich selbst singen, lehnt aber ab, da geht die Komposition an Dusty Springfield. Aretha Franklin verändert nun das Original, das noch elegant, sinnlich und ein wenig süßlich klingt. Sie spiegelt den Klang der vielen schwarzen Kirchen des Landes in ihre Version. Start low, go slow, catch fire, rise higher lautet eine alte Formel unter Pastoren in schwarzen Kirchen.
Genauso verfährt Aretha Franklin auch mit “People Get Ready”. Einmal singt sie: Seid bereit, ein Zug wird euch mitnehmen zum Jordan. Es ist ein biblisches Motiv, eines von Befreiung und einem besseren Morgen, das auf die Unterdrückten wartet. Als im Süden noch das unmenschliche System der Sklaverei herrschte, gab es ein geheimes Netzwerk, das Sklaven bei der Flucht in den Norden half, die sogenannte Underground Railroad, oder unterirdische Eisenbahn. Der große Wagen sollte am Sternhimmel die Menschen nach Norden in eine bessere Zukunft führen. Klar ist, dass es in Songs sogenannte Maskierungen gab. Das eine wurde gesagt, das andere gemeint.
Auch dieser Song “Chain Of Fools“ kann etwas anderes meinen. Die Kette, die Aretha Franklin durchbricht, ist die einer grausamen Liebe. Wer genauer hinhört, kann noch etwas anderes entdecken, nämlich den Ruf nach Freiheit. In Schwarzen Musikformen, das sagen Forscher dieser Zeit, wird viel eher angedeutet, als dass Geschichten erzählt werden. Statt einer Handlung gibt es Metaphern, es werden Bilder angehäuft und so ein Gefühl erzeugt. Dadurch sind diese Musikformen besonders für Protest geeignet, heißt es, um anzuklagen und um Frust abzulassen. “Chain Of Fools” ist ein solcher Song. Es ist ein Song über Liebe und gleichzeitig ein Protestlied.
“Chain Of Fools drückt die revolutionäre Entschlossenheit der Bewegung mit kristallklarer Präzision aus: Eines Morgens wird diese Kette brechen“ – Craig Werner aus dem Buch “A Change Is Gonna Come“
Den Sommer von 1967 nennt das bedeutende Ebony Magazine den Sommer von Retha, Rap und Revolte. Retha, das ist Aretha Franklin. Und Rap, das meint H. Rap Brown, den Vorsitzenden einer wichtigen Studenten- und Bürgerrechtsbewegung der Südstaaten. H. Rap Brown gehört zum radikalen Flügel. Er wendet sich von Martin Luther King ab, auch ihm gilt er als zu weich.
“Gewalt ist notwendig. Gewalt ist ein Teil der amerikanischen Kultur. Sie ist so amerikanisch wie Kirschkuchen. Amerika hat den schwarzen Menschen beigebracht, gewalttätig zu sein. Wir werden diese Gewalt einsetzen, um uns – wenn notwendig – von der Unterdrückung zu befreien. Wir werden frei sein, mit allen notwendigen Mitteln.”
Durch Äußerungen wie diese kommt die Bürgerrechtsbewegung ins Visier des FBI. Der Satz “mit allen notwendigen Mitteln” ist die vielleicht bekannteste Forderung von Malcolm X. 1967, im langen, heißen Sommer, ist er bereits tot. Ein Jahr später wird auch Martin Luther King erschossen, vor einem Motel in Memphis. Er ist nur 39 Jahre alt geworden. Der Attentäter wird mehrere Wochen später am Flughafen London Heathrow gefasst. Bis heute ist nicht klar, wer den Auftrag gegeben hat. Die New York Times nennt den Mord eine nationale Katastrophe.
Wieder brechen Unruhen aus, eine weitere Welle der Gewalt überzieht das Land, mehr als 40 Menschen sterben. Eine Woche später wird ein Bundesgesetz für einen fairen Wohnungsmarkt unterzeichnet, für das Martin Luther King lange erfolglos gekämpft hatte. Daraufhin ebben die Proteste langsam ab. Am Begräbnis von Martin Luther King in seiner Heimatstadt Atlanta nehmen geschätzte 100.000 Menschen teil. Das Klagelied auf King bleibt der Queen Of Gospel, Mahalia Jackson, vorbehalten. Viele Pastoren sind gekommen und Prominente wie der Sänger Harry Belafonte, der Schauspieler Marlon Brando, Senator Robert Kennedy, Gouverneur Nelson Rockefeller und auch Aretha Franklin. Sie singt zu Ehren des großen Bürgerrechtlers – allerdings nicht an diesem Nachmittag, wie es oft heißt, sondern bei einer Gedenkfeier einige Wochen später.
“Die Songs von Aretha Franklin wurden zu Hymnen – der beseelte Sound einer Bewegung, die zunehmend von schwarzem Stolz und Black Power angetrieben wurde, statt wie früher vom Traum nach Integration“ – Suzanne E. Smith in ihrem Buch “Dancing In The Streets“.
Aretha Franklin war auch einfach sehr erfolgreich. In ihren ersten beiden Jahren beim Label Atlantic erreichen sechs Singles die Spitze der R’n’B-Charts. In dem Song “You Make Me Feel Like A Natural Woman“ hallt die Kirche nach, die Gospels, die auf den Märschen durch den Süden gesungen wurden. Aretha Franklin nimmt selbst zwar nicht an den Protestmärschen teil, unterstützt die Bewegung aber finanziell. In ihren Vertrag lässt sie schreiben, dass sie niemals für ein segregiertes Publikum spielen wird. Sie beginnt Dhukus und Dashikis zu tragen, farbenprächtige Kopftücher und Kleider aus Westafrika, ein Bekenntnis zum Panafrikanismus. 1987 ist sie die erste Frau, die in die Rock’n’Roll-Hall Of Fame aufgenommen wird, einer Art Ruhmeshalle der Rockmusik. Und schließlich singt Aretha Franklin bei der Angelobung von Barack Obama, dem ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Nun soll Freiheit von allen Hängen des Landes erklingen.
Als Aretha Franklin im Jahr 2015 stirbt, schreibt Barack Obama: “Darum kann sie mich, wenn sie am Klavier sitzt und ‘A Natural Woman’ singt, zu Tränen rühren, auf dieselbe Art wie Ray Charles ‘America The Beautiful’ meiner Ansicht nach für immer das patriotischste Stück Musik sein wird, das je aufgeführt wurde. Denn es fängt die amerikanische Erfahrung vollständig ein, den Blick von unten wie auch von oben, das Gute, das Schlechte, und dass eine Synthese, eine Versöhnung und Transzendenz möglich sind.”
Playlist aller Songs, die in diesem Radiokolleg gespielt wurden:
Quellen:
George, Nelson. (1990). Der Tod des Rhythm & Blues. Wien. Hannibal-Verlag.
Guralnick, Peter. (1999. Original 1986). Sweet Soul Music – Rhythm And Blues And The Southern Dream Of Freedom. First paperback edition. Boston / New York / London. Back Bay Books
Levine, Lawrence W. (1977). Black Culture And Black Consciousness – Afro-American Folk Thought from Slavery to Freedom. Oxford / London / New York. Oxford University Press
Rainwater, Lee. (1970). Soul. [o.O.]. Trans-action Books.
Smith, Suzanne E.. (1999). Dancing In The Streets – Motown and the cultural politics of Detroit. Cambridge, Massachusetts. Harvard University Press.
Werner, Craig. (2002). A change is gonna come – music, race and the soul of America. Edinburgh. Canongate books
Zips, Werner / Kämpfer, Heinz. (2001). Nation X – Schwarzer Nationalismus, Black Exodus & HipHop. Wien. Promedia