Hamburger Schule: Vom Klang der deutschen Einheit

Hamburger Schule: Vom Klang der deutschen Einheit

Vor 30 Jahren wurde die Hamburger Schule geboren. Im Windschatten der deutschen Einheit und des aufkeimden Nationalismus treffen diskursive Texte und Kapitalismuskritik aufeinander.

[Beiträge erstmals ausgestrahlt im Ö1 Radiokolleg, Jänner 2022]

Vom komplexen Klang der deutschen Einheit

Bad Salzuflen ist ein Kurort im Regenschatten des Teutoburger Walds. Ausgerechnet dort im norddeutschen Niemandsland finden sich Ende der Achtziger Jahre eine Handvoll junger Menschen zusammen, die ihrem Unbehagen über die neue bundesdeutsche Republik in teils ironischen, teils postmodernen Songtexten einen Ausdruck geben. Viele von ihnen kommen nur wenig später in Hamburg zusammen, wo sie in dieselben Bars gehen, sich dieselben Proberäume teilen und sich mit anderen Leuten anfreunden, die aus der Provinz nach Hamburg gekommen sind. Als sowohl Blumfeld das Album “Ich-Maschine“ und Captain Kirk & “Reformhölle” veröffentlichen, ist kurz darauf in Medien von der Hamburger Schule die Rede. Manche sprechen gar von einer Jugendbewegung, andere von einem letzten Versuch einer Jugendbewegung. Einzelne Songs artikulieren gesellschaftlicher Diskurs, andere subjektive Befindlichkeiten oder Beobachtungen aus dem Alltag.

1989 fällt die Mauer, Monate später gewinnt Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft und schließlich brennen zwei Jahre später Asylheime in Rostock-Lichtenhagen. Die Hamburger Schule setzt dem Nationalstolz andere Bilder von Männlichkeit entgegen, von Sex und Liebe, von Arbeit und wie diese verschränkt sind. Teils werden Wohlfahrtsausschüsse gegründet, um den “faschistischen Angriffen auf Migranten, Schwule, Behinderte, Linke und auf subkulturelle Zusammenhänge zu entgegnen“. Im Lauf der 1990er Jahre werden die Slogans vieler Songs einfacher – und damit die Deals und Konzerthallen größer. Die Frage nach zwei Bands – Tocotronic oder Sterne – wird zur deutschen Version einer Frage nach Beatles oder Stones. Andere versuchen die musikalische Formensprache insbesondere in Richtung elektronischer Musik zu erweitern. Mit den Bands entwickelt sich aus dem Geist der Selbermacherei auch die professionelle Medien- und Label-Landschaft in Deutschland.

Die vier Teile des Radiokollegs behandeln u.a. die Bands Blumfeld, Kolossale Jugend, Die Sterne, Huah!, Mobylettes, Die Braut haut ins Aug, L7, Rocko Schamoni, Egoexpress, Tocotronic, Stella, Bernadette La Hengst, Wir sind Helden, Kettcar, Ja Panik, Gustav. Darüberhinaus Bad Salzuflen, die Sozialgeschichte Hamburgs, das Ende der Geschichte, Anschläge in Rostock Lichtenhagen, die Spex, das Männerbild in der Szene, den Kosovokrieg, die Hauptstadt Berlin oder die Riot Grrrls.

Interview-Partner:innen sind bzw. O-Töne zu hören sind von Bernadette Hengst (Die Braut haut ins Aug, Bernadette La Hengst)
Christiane Rösinger (Lassie Singers), Dirk von Lowtzow (Tocotronic), Frank Spilker (Die Sterne), Kerstin Grether (Journalistin, Musikerin), Jochen Distelmeyer (Blumfeld), Martin Pieper (Journalist FM4), Mense Reents (Egoexpress, Stella), Moritz Baßler (Uni Münster), Sandra Grether (Journalistin, Musikerin), Sonja Eismann (Missy Magazine) und Till Huber (Uni Hamburg)

[Beiträge erstmals ausgestrahlt im Ö1 Radiokolleg, Jänner 2022]