Josef Bauer: Wovon man nicht sprechen kann

Josef Bauer: Wovon man nicht sprechen kann

Über Josef Bauer hat die Kunstwelt viel zu lange geschwiegen. Er liefert wichtige Beiträge zur Avantgarde, nimmt diese teils vorweg. Zu Ludwig Wittgenstein hat er eine besondere Beziehung. Der ungewöhnliche Künstler im Porträt.

[Text zuerst erschienen im Magazin des Belvedere 2019]

“Das war in dem Sinn keine Kunst“, sagt Josef Bauer. An einem Badesee sieht er eine Frau von hundert Kilo, es gibt keine Kabinen, nur Umkleidesäcke. Und Josef Bauer sieht wie die Frau in einen hinein schlüpft, nicht mehr auskommt, oben alles zu ist und sie drinnen werkt. “Ich bin sofort heim, habe das mit einer Freundin nachgemacht, das fanden wir lustig“, erzählt er. Die Fotos, die vor fünfzig Jahren entstehen, erinnern an Erwin Wurm und seine One Minute Sculptures. Nur entstehen sie mehr als eine Generation früher. Josef Bauer spielt das herunter, er ist sehr bescheiden, vielleicht mehr als ihm gut tut. Dabei könnte er eines der großen Aushängeschilder der Avantgarde in Österreich sein. Er greift Pop Art früh auf, er schafft medienkritische Arbeiten, frühe Konzeptkunst, beteiligt sich am Aktionismus, er arbeitet mit den Kräften der Natur, auch Franz West verdankt ihm einiges. Aber die Kunstwelt übersieht ihn sehr lange. In seinem Werk bündeln sich bedeutende Strömungen der Nachkriegszeit, seine Geschichte ist aber auch eine darüber, wie der Kunstmarkt funktioniert. Und wie er manchmal versagt.

“Ich mach eigentlich immer, was ich gesehen hab“, entgegnet der 85-Jährige auf die Frage, wie wichtig politisches Arbeiten für ihn ist. 1968 sieht er erstmals Bilder im Fernsehen. In Paris brechen Studentenunruhen aus, die Demonstranten tragen Schilder mit sich, Spruchbänder und Transparente. Seine “buchSTABEN“ sind darauf eine direkte Reaktion. Er wählt die Buchstaben recht einfach aus und macht daraus kein Mysterium. Es haben ihm manche besonders gut gefallen, das K, das U, das O. Weniger gemocht hat er das W, weil es auch schwer mit einer Stange zu verbinden war. Das Fernsehen wollte für einen Beitrag eine Akftion haben, da trägt er die Stangen eben herum. Und weil das Griechenbeisl im Ersten Wiener Gemeindebezirk, wo er sie zuerst ausstellt, eine viel niedrigere Decke hat als eine Galerie in Graz, sind manche “buchSTABEN” länger geworden als andere.

Werk und Autor

In “Werk ohne Autor“, dem rund 20 Millionen teuren Film über Gerhard Richter, gibt der junge deutsche Malerfürst eine Pressekonferenz, er wird bedrängt, soll seine Motive erklären, seine Inspiration und seine Bezüge. Er gibt professionelle Antworten, sie sind kryptisch und rätselhaft, er redet von der Wahrheit, die er sucht, und bewegt sich dennoch nahe an der Lüge. Den ganzen Film lang konnte man nämlich sehen, wie eng Werk und Autor verflochten sind. Aber Richter lässt das alles aus. Die westdeutsche Presse feiert ihn, sie erklärt ihn zum führenden Künstler der Gegenwart. Josef Bauer macht davon so ziemlich das Gegenteil. Er spielt nicht das Spiel, das Galerien, Mäzene und Medien vorgeben, nicht etwa deshalb, weil er sich weigert, sondern weil er arbeiten geht und Geld verdient. Von Kunst kann er erst leben, als er schon über 60 ist. “Wenn du damals mit Ei-Tempera gearbeitet hast und es hart auf hart kommt, dann hau ich das Ei in die Pfanne und lasse Kunst Kunst sein“, sagt Josef Bauer ohne Koketterie.

Josef Bauer im Belvedere (c) Belvedere Museum

Es mag mit seinem frühen Leben zu tun haben. Der Vater wird im Krieg gefangen genommen und kommt nach Russland, ein jüdischer Arzt rettet ihm das Leben. Als er wieder nach Oberösterreich kommt, sagt er, dass die Juden und die Russen anständige Leute sind. Er erkrankt an Krebs, Josef ist der älteste Sohn, da hilft er am Hof in Gunskirchen, bis er 19 Jahre ist. Die Nazis hatten zuvor alles zunichte gemacht. Auf dem Waldstück der Familie errichten sie ein Außenlager des KZ Mauthausen, das Vermögen ist damit weg. Der junge Josef Bauer ist seither ein politischer Mensch. Aus dieser Zeit kommt auch sein Misstrauen gegen das, was in Zeitungen steht. Als Student an der Kunstschule in Linz sieht er in drei Zeitungen dasselbe Bild mit drei unterschiedlichen Schlagzeilen. “Das war eine Situation, die unheimlich wichtig war. Das Bild lässt alles offen und die Sprache engt ein“, sagt er.

Er versucht die Sprache zu begreifen. Und er versöhnt sich mit ihr. Beim Steirischen Herbst, dem ältesten Festival für Neue Kunst, bindet er 1972 mit Buchstaben das Wort “Baum“ an eine steirische Eiche, bindet Zeichen und Bezeichnetes aneinander. Damals ist an den Universitäten die Zeichentheorie in Mode, Josef Bauer kauft sich früh zwei Bücher von Marshall McLuhan, aber erst Ludwig Wittgenstein fesselt ihn. “Ich habe das gelesen wie einen Krimi, weil ich drei Viertel nicht verstanden habe“, sagt er lachend. “Aber die Sätze zwischendurch waren so toll für mich.” Man spürt auch in diesem Moment wenig von dem heiligen Ernst, mit dem andere Künstler ihre Arbeit gern beschreiben.

Waldheim und Co

Einmal wird Josef Bauer im Gespräch ganz ernst. Es geht um die Waldheim-Affäre. Josef Bauer fertigt Mitte der Achtziger die Serie “Fehldrucke” an. Sie war keine Reaktion, sagt er, aber die übermalten Zitate aus der Nazizeit, die ihm der Literat Heimrad Bäcker gibt, erinnern zeitweise frappant an das Argument Waldheims, man habe damals in der Wehrmacht nur die soldatische Pflicht erfüllt. Im Prinzip sei das aber harmlos gewesen, meint Bauer, und plötzlich schwenkt er um: “Erst mit Kickl und Co habe ich wieder Angst bekommen.“ Man würde spüren, was diese Leute wirklich wollen und wenn die Bevölkerung da mitgeht.

Josef Bauer im Belvedere (c) Belvedere Museum

Sport verdankt Josef Bauer sehr viel. Mehrmals ist er Staatsmeister im Stabhochsprung. Er bekommt ein Buch über Zen-Buddhismus geschenkt, das ihm hilft, auf Zentimeter genau zu explodieren. Beim Training lernt er Peter Kubelka kennen, den österreichischen Juniorenmeister im Diskuswerfen, der später als Avantgarde-Filmemacher bekannt wird. Beide sind im selben Verein, Kubelka lädt ihn in seine Wohnung ein, wo quer über eine Wand ein Text von August Stramm mit Bleistift geschrieben steht. “So hat es ja angefangen“, meint Josef Bauer, “da habe ich doch die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt gekannt, nur dass es bei mir länger gedauert hat.” Sport führt ihn für einen Wettkampf nach Paris, wo er in einem baufälligen Haus amerikanische Pop Art sieht und sofort von ihr gefangen ist. Ihr Einfluss auf sein Werk ist allerdings subtil. Josef Bauer übermalt Reklamen, Zeitungen, Musterkataloge oder Fotos, die er am Flohmarkt findet. Seine Auseinandersetzung mit Massenmedien bleibt dabei indirekt, er bildet sie nie nur einfach ab, sondern er imitiert und verfremdet sie.

Wunderkind und Traun

In den Oberösterreichischen Nachrichten sagt ein Kurator der Landesgalerie Linz über Josef Bauers Arbeit “Farbraum“, dass man ihretwegen die ganze Kunstgeschichte umschreiben muss, sie könne nicht aus 1963 stammen, die Avantgarde begann doch erst 1965. “Ahja, stimmt”, meint Josef Bauer etwas verschmitzt. “Die Deutschen sind ein bisschen später mit den Beziehungssachen gekommen. Das ist unmöglich. Aber ich habe es tatsächlich gemacht.“ 1963 holt er außerdem einen Stein aus der Traun, er gießt ihn ab, fotografiert ihn, zeichnet seine Umrisse und beschreibt den Vorgang. Das Nachrichtenmagazin Profil schreibt, man könnte diese Arbeit für eine des Konzeptkünstlers Joseph Kosuth halten. Aber auch dieser ist erst zwei Jahre später damit dran. Josef Bauer geht es dabei um das Erlebnis, nicht um die Objekte. Was er nicht braucht, was ihm misslingt, schmeisst er deshalb wieder weg. Heute hat er vom Traunstein nur noch den Abguss.

Viel früher noch trifft ihn regelrecht einen Geistesblitz. Ein Jahr nach dem Krieg spannt er zwölfjährig ein Leintuch der Eltern in einen Keilrahmen, er hängt die Konstruktion vier Meter hoch in einen Baum und wartet. Aber nichts passiert. Äste bohren sich hinein, fünf Jahre hängt alles draußen an der Sonne, an Wind und Winter, dann schmeißt er es weg. 1946 kommt er auf diese Idee. Wunderkind könnte man rufen, Sammler könnten sich überbieten und Kunsthistoriker könnten sich einen Namen machen. Aber es gibt keine Dokumentation. Für Josef Bauer geht vorrangig um das Erlebnis, sich die Welt anzueignen. Kunst ist kein Karriereweg, Kunst ist ein Bildungsweg.

Josef Bauer hat nun nichts von einem Genie, nichts von einem Künstlermanager oder einem Enfant Terrible. Er ist auch kein Einzelgänger, kein früh Verstorbener und kein genialer Dilettant, den man als große Neuheit entdecken könnte. Josef Bauer wurde einfach sehr lange übersehen. Und angesichts seines visionären Schaffens ist das ein Marktversagen.

 

Josef Bauer ist am 2. März 2022 im Alter von 88 Jahren gestorben.