Kraftwerk sind 50: Gesamt-Kunst-Kraft-Werk

Kraftwerk live 2018 (c) Niko Ostermann

Kraftwerk sind 50: Gesamt-Kunst-Kraft-Werk

Die Geschichte von Kraftwerk begann vor fast genau 50 Jahren in Düsseldorf. Es ist eine Geschichte populärer Avantgarde.

[Beiträge erstmals ausgestrahlt im Ö1 Radiokolleg, November 2020]

 

Kraftwerk war populäre Avantgarde. Die Band aus Düsseldorf hat vor allen Dingen konzeptuell gearbeitet und so einer visionäre Zukunft entworfen, die gleichzeitig zurückblickt auf jene Moderne, die durch die Gräuel des Nationalsozialismus ein jähes Ende fand. Diese Konzepte haben Kraftwerk seit Anfang der 1970er Jahre in Töne gesetzt. Gemeinsam mit Fotografie, Typografie, Bühne, Bildern und Texten formten sie ein Ganzes, vielleicht sogar ein Gesamtkunstwerk. Der Einfluss von Kraftwerk kann dabei kaum überschätzt werden. “Was man sicher behaupten kann, Kraftwerk gelang die größte Revolution in der Pop-Musik seit den Beatles“, schreibt etwa Uwe Schütte in seiner kürzlich erschienenen Monographie über die Band.

Das erste Album von Kraftwerk wurde 1970, vor mittlerweile 50 Jahren, veröffentlicht. Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben hatten die Band an einer Kunstakademie gegründet. Sie waren geprägt von Krautrock ihres Umfelds, aber auch von Musique Concrete, Fluxus und Rumorismo. Auf “Autobahn“ erreichten sie gemeinsam mit Emil Schult dann vier Jahre später erstmals einen Meilenstein. 22 Minuten lang wird das Thema variiert, wird die Idee von Mobilität und endloser Bewegung zu Klang. Dabei sind Text und Plattencover so reduziert, dass sich Assoziationen zu motorisierter Freizeitkultur, über ein deutsches Nationalsymbol, zur Nazi-Zeit der industriellem Fortschritt spinnen lassen.

“Radio-Aktivität“ bildet ein Jahr später den Volksempfänger auf dem Cover ab und thematisiert eines der bestimmenden Themen der 1970er in Deutschland – die Anti-Atomkraft-Bewegung – auf eine Weise, die auch zu Missverständnissen führt. “Trans-Europa Express“ treibt die Band mit Geschwindigkeit und Rhythmus in eine Phase, die von vereinten Ländern träumt. Mit “Mensch-Maschine“ ist 1978 schließlich der konzeptuelle Höhepunkt erreicht, ein komplexes Verwirrspiel von politischen, ästhetischen und philosophischen Zeichen. Zudem wird mit “Das Model“ ein für die Band relativ untypischer Song zu ihrem größten Hit. “Computerwelt” von 1981 sagt schließlich auf gespenstische Weise digitale Entfremdung, Überwachung und Big Data voraus.

Kraftwerk verwenden früheste Klangmaschinen, sie verfremden die menschliche Stimme und sie bringen elektronischer Musik beispiellosen Rhythmus bei. Im Nachhinein lässt sich nicht mehr beantworten, ob Techno, Electro oder House einen derartigen Boom erlebt hätten, wenn es Kraftwerk nicht gäbe. Unbestritten ist ihre Strahlkraft. Auch für Hip Hop. Auch auf Kunst. Und für populäre Ausdrucksformen allgemein.

 

Kraftwerks erstes Album “Kraftwerk” ist 1970 via Philips erschienen.

[Beiträge erstmals ausgestrahlt im Ö1 Radiokolleg, November 2020]