Barbara Zeman: Ich bin wie ein kleiner Bluthund

Barbara Zeman: Ich bin wie ein kleiner Bluthund

Barbara Zeman hat mit “Immerjahn” das Buch für die Kunstnoblesse geschrieben. Es war ein guter Anlass, endlich Tachles zu reden über Sprache, Erotik und Tod. Ahja, wir kennen uns schon lange.

 

Immerjahn ist Beton-Erbe und Kunstsammler.

Barbara Zeman: Alle jungen Künstler, die ich kenne, hassen Kunstsammler. Sie haben viel Macht. Es gibt Auftraggeber, die Künstlern einen Resonanzraum geben, manche Künstler sind bekannt geworden, weil sie einen ebenbürtigen Mäzen hatten. Wenn russische Oligarchen Punktebildchen sammeln, sind sie exquisite Konsumenten, schaffen aber nichts Neues.

Dennoch tun einige Künstler nur so, als würden sie Geld hassen.

In der Siegerkunst sicher. Jeff Koons, Damien Hirst, Olafur Eliasson sind reiche Macher mit großen Ateliers. In diesem Establishment greifen sie die Elite nicht mehr an, weil sie schon zu ihr gehören. Auch Immerjahn spielt in einem elitären Universum.

Im Roman finden sich fast keine Fremdwörter.

Man soll sich ihn einfach vorstellen können. Ich wollte die Sprache so barrierefrei wie möglich machen. Und ich möchte die Vielfalt der Sprache nutzen. Ich verwende österreichische Wörter, wenn ich sie schöner finde. Paradeiser ist ein großartiges Wort, Tomate dagegen flach. Das ist nicht immer möglich. Immerjahn wohnt auf dem Hagebuttenberg, den es im burgenländischen Eisenstadt wirklich gibt, er heißt dort Hetscherlberg, das ist Dialekt für Hagebuttenberg. Das Haus meiner Eltern steht an dessen Fuß. Ich wollte, dass man auch in Deutschland ein starkes Bild mit dem Ort verbindet, als würde ein reicher Mann in seiner Villa auf einem Berg von Hagebutten sitzen, auf einer sehr instabilen Konstruktion.

Ist dein Schreibstil generell so?

Ich kann auf viele Arten schreiben, bodenständig oder verkopft. Mit Sprache will ich eine Person erschließen. Die Hauptfigur meines nächsten Romans – mein Urgroßvater, der Maurer war – braucht eine ganz andere Sprache.

Es gibt kaum direkte Rede, Immerjahn spricht erstmals auf Seite 31, er ruft nur “Arbeiter!“

Im Roman ist die Interaktion der Figuren durch Immerjahn gebrochen. Er hat zwei Teile, solange die Figuren in Immerjahns Haus sind, befinden sie und die Leser sich in seinem Resonanzkörper. Nach einer sinnlichen Szene auf einem Hügel wird mehr gesprochen, die Figuren verlassen sein Haus. Andere Autoren können mit Dialogen ein Universum aufmachen, ich muss lange daran arbeiten, kann sie schlecht schreiben. Ich schaue nicht viel fern, sonst wäre ich darin geübter.

Schult nicht der Kontakt mit Menschen in Dialogen?

Echte Gespräche sind anders als die Kunstform des Dialogs. In Filmen oder Literatur befindet man sich in der Verbrämung eines Gesprächs. Mir fehlen aber Filme und Serien.

Niemand würde nur “Arbeiter!“ rufen.

Das ist ein Ausdruck des gesellschaftlichen Konflikts von Immerjahn, die Beschwörung einer ganzen Klasse wie durch einen reichen, einsamen Mann, wie durch einen Zauberer. Seine Frau Katka gehört zur Arbeiterklasse, sie assoziiert er mit Ursprünglichkeit. Albert Camus schreibt über seine Mutter, sie würde nur eine Bezeichnung für Teller kennen, Immerjahn kennt aber die ganze Bandbreite von Etagere bis Platte.

Immerjahn sammelt keine Kunst, die das Leben der Arbeiterklasse zeigt.

Wenn dann sind es bäuerliche Ansichten. In den Perioden, in denen er Kunst sammelt, sind Arbeiter ein städtisches Phänomen.

Du schreibst blumig, heißt es, dabei rührt das weniger von deiner Sprache, als von der Welt, in der Immerjahn lebt.

Immerjahns Welt ist strukturell schnörkelig, meine Sprache mäandert zwar und verzweigt sich, sie ist aber nicht schwülstig, sondern elegant, in erster Linie durch ihren Rhythmus.

Wie kommst du zum Rhythmus?

Müsste ich mich entscheiden, ob Literatur oder Musik verschwinden soll, ich würde ohne Zögern Literatur sagen. Nach drei Stunden ohne Musik bin ich ausgehungert, ich bin süchtig nach ihr und höre beim Schreiben pausenlos. Anfangs schreibe ich assoziativ, alles darf hinein, ich liebe Sätze, die windschief sind, sie gären, im Laufe der Überarbeitungen werden diese oft am strahlendsten. Ich überarbeite lange, forme neu, zuletzt muss der Rhythmus stimmen.

Warum sind die Frauenfiguren im Roman so blass?

Sie bleiben indirekt, weil sie durch einen Mann wahrgenommen werden, der sie nicht wirklich versteht. Ich bekomme das Feedback, dass die Haushälterin Frau Mansur die stärkste Figur ist. Sie hat Prinzipien, ist entschlossen und auf eine grobe Art zärtlich.

Der Roman ist auch humorvoll.

Darin spiegelt sich ein Wissen um die Seltsamkeit der Dinge. Der Roman braucht vielleicht Leser, die viel lesen. Wer nur Vea Kaiser und Harry Potter kennt, kann vielleicht nichts damit anfangen. Bei Lesungen sind die Reaktionen sehr unterschiedlich, weil ich den Humor auch nicht extra betone.

Hättest du gerne mehr Buchpreise?

Natürlich. Je größer die Jury, desto eher wird ein Preis zum Konsens. Mein Roman polarisiert stark, das sind schlechte Voraussetzungen.

Ist er wirklich so kontroversiell?

Im Spiegel gab es einen Verriss, in der literarischen Soirée auf Ö1 haben die meisten Gäste das Buch gehasst. Wenn du schnell Erfolg hast, sagen andere bald, nein, der Kaiser ist nackt. Ich bin sehr ehrgeizig und würde es großartig finden, auf einer Long- oder Shortlist für einen Preis zu stehen. Beim Wettlesen bin ich wie ein kleiner Bluthund. Wäre ich keine Kämpferin, hätte ich nicht zehn Jahre versucht einen Verlag zu finden.

Du hast Stipendien bekommen.

Ich wohne mit meinem Freund auf 28 Quadratmetern. Stipendien waren wichtig, um mich zu verteidigen. Freunde gingen irgendwann davon aus, dass mein Schreiben ein sinnloses Unterfangen ist. Ein Stipendium oder ein Preis beschützt dich, einen Monat in Rom, hier oder da, ich konnte zumindest davon leben.

Der Staat beschützt dich vor Freunden.

Die Kunstförderung im Bundeskanzleramt ist eine ausgezeichnete Einrichtung. Ich hätte aber auch bis 80 ohne die geringste Anerkennung weitergemacht.

Musstest du hungern?

Nein. Ich bin zum Hamstern heim ins Burgenland gefahren, habe einen riesigen Rollkoffer voll gemacht bis er richtig schwer war. Manchmal hatte ich extra Taschen dabei, mein Freund musste mich vom Bahnhof abholen. Ich kaufe nicht gern Essen und habe Skrupel nicht zum Diskonter zu gehen. Einerseits musste ich sparen, andererseits gebe ich für Kleidung leichter Geld aus. Mir steht viel, dadurch bin ich verleitet, viel zu kaufen.

Wie waren diese Jahre für deine Eltern?

Sie waren wild. Meine Eltern wurden gefragt, ob ich arbeitslos bin oder eine soziale Störung habe, sie haben an vorderster Front mitbekommen, was es bedeutet mit Absagen zu leben. Agenturen verweigern dir monatelang eine Antwort, zwei Wochen nach dem letzten Moment schicken sie eine vorgefertigte Absage. Manchmal bin ich tränenüberströmt durch meine Wohnung gewandert. Meine Familie hat mich wahnsinnig unterstützt, sie freuen sich jetzt einen Haxen aus. Hätte ich Schwäche gezeigt, hätten Freunde mir geraten, es funktioniert nicht, es wäre mutig, sich Scheitern einzugestehen.

Haben Freundschaften gelitten?

Total. Wenn dir jemand ins Gesicht sagt, du kannst es nicht, du bist keine Autorin, ist das ein freundschaftlicher Supergau. Diese Person versteht nicht, wer oder was ich bin. Erfolg ist etwas Äußerliches. Ob ich etwas machen muss oder nicht, musst ich auch im schlimmsten Fall wissen.

Wann war der Tiefpunkt?

Ich habe im Cafe Jelinek zu arbeiten begonnen, hatte durch Gäste und Kollegen ein normales Umfeld und dachte, schlimmstenfalls muss ich neben dem Schreiben ein kleines Cafe aufmachen. Ich wusste nicht, was das Leben mit mir vorhat, habe mich nicht mehr aufs Schreiben versteift. Drei Monate später habe ich den Wartholzpreis bekommen. Die erste Pressekonferenz war im Cafe Jelinek, die Jury wusste schon, dass ich den Preis bekommen werde, ich habe dort gebügelt und einen Karton Milchpackungen durchs Lokal getragen, der Veranstalter hat mich komplett entgeistert in meiner Schürze angesehen.

Wie viel bringt eine Schreibwerkstatt?

Mir hat meine mit Paul Jandl viel gebracht. Du weißt, dieser Autor wird deinen Weg weiter verfolgen. Die drei Monate auf der Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst habe ich nicht ertragen. Ich habe alles versucht, wollte besser werden, aber Gruppenbesprechungen von Texten haben mir nichts gebracht. Ich brauche eine einzelne Ansprechperson, mit der ich konzentriert arbeite.

Melden sich jetzt wieder Menschen bei dir, von denen du lange nichts gehört hast?

Leute von viel früher, Freunde, mit denen ich bei den Pfadfindern war. Wir haben uns aus den Augen verloren, es ist schön, wieder voneinander zu hören. Es gibt auch solche, für die ich ein guter Kontakt bin, sie sind interessiert, das ist ok so.

Deine Lesetour führt dich in eigenartige Hotels.

Ich liebe das. Mit Band machen mir Lesungen viel mehr Spass, mit Sweet Sweet Moon ist es, als wäre ich wieder in der Schule. Wir spielen uns Streiche, schlagen die Zeit tot, das gibt es sonst nicht.

Darfst du dich Bestseller-Autorin nennen?

Ich war in diesen Listen, teilweise vor T.C. Boyle und Houellebecq, Bestseller sind für mich aber ein Wolf Haas oder Stephen King oder die Autorin von Harry Potter.

Wie oft musstest du mit Medien in Museen gehen?

Pffft! Die ganze Zeit. Ich müsste vom Belvedere eine Eintrittskarte auf Lebenszeit bekommen, ich war im Park, im Museum, im botanischen Garten, überall. Es muss cool gewesen sein, dort als Prinz Eugen zu wohnen.

Gibt es in deinem Publikum denn grausliche Männer?

Nicht viele. Im Gegensatz zu Facebook. Für mich ist das der Beweis, warum Immerjahn eine geglückte Figur ist, viele ältere Männer fühlen sich von ihm verstanden, sie schreiben mir Liebesbriefe. Ich habe es relativ leicht gefunden, aus der Perspektive eines Mannes zu schreiben, habe zwei Brüder und großteils männliche Freunde. Mittlerweile lasse ich auch Kommentare stehen, die mich darum bitten, ich soll ihnen zurückschreiben. Ich habe sehr schnell eine Distanz zu diesen Dingen bekommen.

Siehst du dich im Umfeld der feministischen Burschenschaft Hysteria?

Ich bin im Umfeld. Allerdings hasse ich Mitgliedschaften. Mein Text ist gesellschaftskritisch, man sieht auf einem Tableau, wie hilflos ein alter, weißer, reicher Mann ist, weil er seine Frau Katka sehr liebt, sie ihm aber fremd bleibt. Vielleicht ist das nichts anderes, als die Hilflosigkeit des alten, weißen, reichen Mannes. Er spielt seine privilegierte Rolle aus, indem er sein Haus öffentlich zugänglich machen will und beschließt, seinen Reichtum für die Gesellschaft manifest zu machen.

Versucht Immerjahn denn sein Erbe durch sein Sammeln zu vernichten und seine sozialen Unzulänglichkeiten zu kompensieren, wie die Taz schreibt?

Zehn Kilo Kaviar, drei Monate Luxushotel, das ist alles egal, dieser Konsum ist vergänglich. Ich habe gelesen, dass Superreiche dadurch ein Gefühl von Impotenz haben würden. Kunst ist eine Methode, Geld wieder zu spüren.

Dein Roman gefällt “einer abgefahrenen Minderheit“, schreibt die Süddeutsche.

Man kann Leuten sagen, wenn euch Wes Anderson gefällt, gefällt euch vielleicht dieses Buch, es gibt fast keine Dialoge, er wäre ein Regisseur, der etwas Eigenes aus dem Stoff machen könnte. Ich versuche an Wes Anderson heranzukommen, das ist aber geheim.

Greifen Möwen, Kirschen und Hagebutten nach Erotik und lassen verblassende Liebe erahnen, wie Die Presse schreibt?

Immerjahn ist ein sinnlicher, erotischer Text. Wenn jemand das erkennt und konkret festmachen kann, finde ich das schön. Eine Journalistin war überzeugt, dass Immerjahn zuletzt stirbt, weil die Fenster zugemauert werden, das Reflexionsbecken an Gedenkstätten erinnert, das Buchcover ist marmoriert, darauf liegt ein Hagebuttenzweig.

Immerjahn handelt von Erotik und vom Tod.

Genau, eine zeitlose Kombination. (lacht)

 

“Immerjahn” von Barbara Zeman ist bereits via Hoffmann & Campe erschienen.