26 Apr #AMADEUS SO MAENNLICH
Wieder gibt es kaum Frauen unter den Amadeus-Awards-Nominierten. Wie kann das im Jahr 2018 noch sein?
(Text zuerst bei Music Austria erschienen)
Es gibt eine gute Nachricht und eine schlechte. Die Jury der Amadeus Awards wird nächstes Jahr erstmals mit gleich vielen Frauen wie Männern besetzt sein. Frauen haben in der Musikindustrie allerdings weiter längst nicht dieselben Chancen.
Vor zwei Jahren hat sich Astrid Exner in diesem in The Gap veröffentlichten Text sehr gewundert. Die Amadeus Awards sind der größte Musikpreis in Österreich, sie werden von der IFPI organisiert, dem Verband der heimischen Musikwirtschaft. Diese bestimmt das Prozedere, sie stellt Listen zusammen, die der Jury helfen sollen, sich an alle Alben und Songs eines Zeitraums zu erinnern, sie legt vor allem auch die Jury selbst fest. Vor zwei Jahren gab es dort weniger als ein Viertel Frauen, heute sind es ungefähr ein Drittel. Selbst die IFPI gibt auf Anfrage zu, dass es zweifellos Aufholbedarf gibt. Und noch mehr, sie verspricht, dort Chancengleichheit herzustellen und die Jury 50:50 zu besetzen (Thomas Böhm schriftlich: „Beim nächsten Mal soll es soweit sein.”)
Frauen dürfen weniger wählen
Denn dass darin ein Fehler im System liegt, wird niemand ernsthaft bestreiten. Niemand würde ja behaupten, dass bei einer Wahl, in der Frauen nicht abstimmen dürfen, sich einfach der beste Kandidat durchsetzen wird, gleichgültig ob Mann oder Frau. Wer eine Stimme abgeben darf, ist ganz entscheidend, sonst gibt es keine Repräsentation. Und Frauen dürfen in Österreich seit hundert Jahren ganz allgemein und ganz gleich wählen.
Es muss ein Fehler im System sein, wenn über Jahre viel weniger Frauen für diese Preise nominiert sind. Kein Album, kein Hard oder Heavy waren es heuer offenbar wert, bei den Amadeus Awards nominiert zu werden. Unter 65 Plätzen für Nominierte sind 48 rein männlich besetzt. Dem stehen 8 rein weibliche gegenüber. Die übrigen sind gemischt.
Den Oscars erging es ähnlich. In den Hauptkategorien standen über Jahre fast ausschließlich Weiße zur Wahl, Halle Berry ist nach wie vor die einzige schwarze beste Hauptdarstellerin, schwarzen Regie-Oscar gab es bisher keinen. Bei „Creed”, einem Film mit schwarzem Cast und schwarzem Regisseur, schaffte man es vor zwei Jahren, nur Sylvester Stallone für eine Nebenrolle zu nominieren. #OscarsSoWhite wurde milionenfach getwittert. Die Organisatoren reagierten, sie brachten Diversität auf die Showbühne und viel wichtiger, sie öffneten die Academy, die entscheidet, wer die Preise bekommt und diversifizierten sie.
Es geht immer um die Qualität
„Wie auch bei der Vergabe von Jobs bin ich der Meinung, dass die Qualifikation eines Menschen ausschlaggebend sein sollte und nicht sein Geschlecht”, sagt Julia Gschmeidler, die für das Message-Magazin in der Jury sitzt. Wenn man ein wenig herumfragt, findet sich niemand, der einem schlechten Album einen Preis geben würde, nur weil eine Frau es gemacht hat.
Amy Mahmoudi etwa: „Für mich hat es sich ganz natürlich ergeben, dass ich in jeder Kategorie auch Frauen aufgrund ihrer Relevanz nominiert habe.” Sie sitzt in der Jury, Qualität ist für sie unabhängig vom Geschlecht. Beim Volume Magazin wird intern aber über das Thema diskutiert. Dass mit Lana Del Rey zum letzten Mal vor 40 Ausgaben eine Frau auf dem Volume-Cover war, hat sie selbst verblüfft, sie erklärt den Umstand mit der Reichweite der Acts, die es für ein Cover braucht.
„Ich bemühe mich, dass ich pro Kategorie mindestens zwei Frauen nominiere“, meint Katharina Seidler, die heuer neben ihrer Arbeit bei FM4 mit Nino aus Wien das Popfest kuratiert. „… es sind spitzen Alben, Ankathie Koi ist eine tolle Popplatte. Natürlich geht es um die Qualität. Die ist ja da.”Als sie vor drei Jahren für das Programm des Electric Spring verantwortlich war, fand sie es einfacher, passende Frauen zu finden. In elektronischer Musik und in den Nischen stimme es einfach nicht, dass mehr Männer Musik machen, sagt sie. Nur in vereinzelten Bereichen wie dem Neuen Wienerlied sei es manchmal schwer.
Ganz oben in den Charts hat das letztes Jahr anders ausgesehen. Auf Spotify war in Österreich keine Frau unter den Top 5 der meistgestreamten Künstler, Alben oder Songs, es dominierten Ed Sheeran, RAF Camora, Drake und Imagine Dragons. In Deutschland gab es auf Spotify unter den Top 10 keine einzige Frau. Es war ein ungewöhnliches Jahr – Beyoncé, Rihanna und Katy Perry veröffentlichten keine Alben, Taylor Swift gab ihres verspätet auf Spotify frei.
Die Musikindustrie ist überaltert
„Die coolen Frauen gibt es zuhauf, die gibt es“, sagt Mira Lu Kovacs. Sie ist heuer zweimal mit 5K HD nominiert. Als sie letztes Jahr einen Amadeus überreichte, tat sie das in einem T-Shirt, auf dem groß stand: Make Feminism A Threat Again. Das Problem geht für sie viel weiter. „Es ist quer durch das System verbreitet, dabei geht es auch um Generationen. Ich will nicht sagen, die Musikindustrie ist überaltert, aber meine Generation ist da wenig vertreten. Es muss sich strukturell auf so vielen Ebenen etwas ändern.“
In Großbritannien arbeiten bei Warner Music unter den Topverdienern dreimal mehr Männer als Frauen, sie verdienen im Durchschnitt um 49% mehr Geld pro Stunde, ihr Boni sind um 82% höher. Bei Sony BMG beträgt das Verhältnis unter Topverdienern 63:37, bei Universal Music 70:30. Im gesamten Durchschnitt bekommen Frauen bei den Majors um 33.8% weniger Geld. Diese Zahlen wurden publik, weil ein neues Gesetz seit April Firmen zur Offenlegung zwingt.
Du darfst nicht so frech sein
Astrid Exner ist sich sicher, dass es in Österreich denselben Gender Pay Gap gibt. Sie hat hier lange für ein Majorlabel gearbeitet. „Man hört, dass es immer noch dieselben Probleme gibt“,erzählt sie. „Damals wurde mir gesagt, ich darf nicht so frech sein, wortwörtlich. Man hat das Gefühl, dass es überhaupt kein Bewusstsein für diese Missstände gibt, in den Hierarchien sitzen ganz oben immer noch Männerbünde.”
Ein Blick in die Führungsetagen bestätigt das. Bei der IFPI sitzen acht Männer, keine Frau. Beim Österreichischen Musikfonds sitzen im fünfköpfigen Vorstand eine Frau und der zwölfköpfigen Mitgliederversammlung drei Frauen. Bei der AKM sitzen im sechsköpfigen Aufsichtsrat eine Frau und im zwölfköpfigen Vorstand zwei Frauen. Im Veranstalterverband sind Präsident und drei Vizepräsidenten Männer. An der Wirtschaftskammer sind von vierzehn Funktionären zwei weiblich. Bei Ö3 sind Senderchef und sein Stellvertreter Männer. Geschäftsführer und Generaldirektoren sind in all diesen Vertretungen Männer.
Es liegt nicht an der Jury
Wichtig ist, wer wählt. Das gilt für Institutionen wie auch für die Amadeus Awards. Thomas Böhm von der IFPI kann das bestätigen: „Die Problematik beginnt schon viel früher, denn von Künstlern wird mehr Musik veröffentlicht als von Künstlerinnen und auch in den Verkaufscharts spiegelt sich dieses Verhältnis wider. An der Jury liegt es am wenigsten.”
Vielleicht will man deshalb beim deutschen Echo die Jury stärken. Der deutsche Echo war schon bisher kein reiner Verkaufspreis. Auch die Amadeus Awards sind kein reiner Verkaufspreis. Musiker haben vielleicht mehr noch als andere Menschen eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, manchmal sind sie Vorbilder. Diese Dimension wird mit einem Preis genauso gewürdigt wie künstlerische Qualität. Das sollte mit dem vollständigen Neuanfang klar geworden sein, den die Macher des Echo versprochen haben.
Bernhard Kiehas findet es als Chefredakteur von GoTV wichtig, Künstlerinnen zu zeigen, eben weil klar ist, dass es ein Ungleichgewicht gibt. „Das ist nicht nur beim Amadeus so, das zieht sich durch die Musikbranche. Schau dir nur die Festival-Lineups an.” Das Popfest hat sich vor drei Jahren erstmals erfolgreich vorgenommen, gleich viele Männer und Frauen auf die Bühne zu stellen, das Electric Spring macht es ähnlich, es wurde mehrfach von Frauen kuratiert. In der Stadt Wien scheint man aktiv etwas ändern zu wollen. Bei großen Sommerfestivals und den Publikumsmagneten sieht es aber ganz anders aus.
„Wenn man auf dem Frequency fast nie eine Frau sieht, dann macht das was“, sagt Katharina Seidler. Das haben auch die Organisatoren der Amadeus Awards erkannt. Bei der Awardsshow werden Künstlerinnen stark präsent sein, man achtet auf einen ausgewogenen Frauenanteil. „Der Amadeus ist ein Spiegel der Branche, nur dort ansetzen, ist zu spät“, sagt Amy Mahmoudi. Man sollte Mädchen und jungen Frauen den Zugang erleichtern. Dass eben nicht nur das Talent zählt, dass nicht nur Qualität entscheidet, da sind sich alle Interviewten relativ einig.
Die Quote ist nicht ideal, aber was sonst
Bei gleicher Qualifikation haben Frauen weniger Chancen, das sei bewiesenermaßen so, sagt Julia Gschmeidler. Deshalb ist gegensteuern wichtig. Katharina Seidler hat bei Quotendiskussionen ein ungutes Gefühl, denkt aber, dass sich wieder und wieder gezeigt hat, dass es tatsächlich nicht anders geht. Nicht alle Quoten kommen per Gesetz, manche werden freiwillig erfüllt, wieder andere sind eher niedrig angesetzt, sei das in Vorständen, in Aufsichtsräten, auf Wahllisten oder der Anteil österreichischer Musik in den Radios des ORF. Wenn solche Quoten verfehlt werden, zeigt das zumindest einen Missstand auf, davon ist Astrid Exner überzeugt. Und immerhin würde das Thema viel ernster genommen werden als noch vor wenigen Jahren.
International haben Frauen im Pop lange dominiert, Rihanna, Beyoncé, Dua Lipa, Taylor Swift, Cardi B. Warum schafft man es in Österreich partout nicht, eine starke Figur im Pop aufzubauen? Wer nun Conchita Wurst einwerfen will, sollte zumindest wissen, dass Conchita Wurst eine Frau performt, dass sie keine Trans-Frau ist, sondern ein bürgerliches Leben als Mann führt.
„Man kann den Leuten nicht vorwerfen, dass sie engstirnig sind, aber vielleicht sind sie das. Es ist ein kleines, ängstliches Land, viele Länder gehen gerade diesen Weg“, meint Mira Lu Kovacs noch. Dabei sollte mittlerweile klar sein, was die Musikindustrie dagegen tun kann, Gremien und Verbände öffnen, Transparenz verordnen, Vorbilder aufbauen und Quoten nicht ausschließen Sonst könnte es sein, dass man in fünf Jahren dieselbe Diskussion führt, dass gebremst und ausgesessen wird. „Österreich lernt es langsam“, sagt Mira Lu Kovacs.