Bilderbuch: Super Mittelschicht Kids

Bilderbuch Mea Culpa Review ©-Hendrik-Schneider

Bilderbuch: Super Mittelschicht Kids

Auf „mea culpa“ träumen Bilderbuch weiter vom magischen Leben mit mittlerem Einkommen. Dieses Mal geht das nicht ohne massivem Herzschmerz. Dabei erweitern sich auch die Songstrukturen.

Bilderbuch wollen niemals stehenbleiben. Man sieht es ihrem Style an, ihren Shows und man hört es in ihren Songs. Bilderbuch entwickeln sich weiter und probieren sehr viel aus. Sie färben die Haare, sie spielen mit Slogans und Symbolen, sie nehmen Bongo-Spieler auf die Bühne oder einen Gospelchor, ein digitales Schlagzeug oder spielen Gitarren so, dass sie nach Synthesizern klingen.

Das ist nicht selbstverständlich. Sehr viele Bands bleiben liebend gern bei dem, was einmal für sie funktioniert. Denn mit jedem Ausfallschritt könnten Fans abspringen. Bilderbuch haben sich davor nie gefürchtet.

Nicht alles glückte, nach dem gefeierten Album „Schick Schock” wollten sie neue Grooves entdecken, ein Song wie „I Love Stress“ brachte sie dabei an die Grenzen ihres Songwritertums. Der Refrain, die Fanfaren und sehr innovative Beat schnitten sich gegenseitig die Luft ab. Aber das war nicht so wichtig, weil ihr größter Hit „Bungalow“ zeitgleich alles überstrahlte. Das Wort „Akku” hatte Sänger Maurice Ernst sehr lange in seinem Notizbuch notiert. Er spielte sich so lange damit, bis die Zeilen entstanden, die sich jeder noch so betrunkene Festivalbesucher taubblind zurufen kann, wenn das Handy auf unter zehn Prozent sinkt: Ich brauch Power für mein Akku, Baby borg mir deinen Lader.

Ein Faktor war immer konstant, die kluge Chuzpe von Maurice Ernst, der alle Interviews und Auftritte mit seinem verschmitzten Lächeln überstrahlt. Er versteht es die manchmal doch recht dünnen Worthülsen so zu verkaufen, als hätten sie einen doppelten Boden und wären ganz nahe an Pop Art dran.

Sehnsuchtsorte Megaplex, Lounge, Taxi

In seinen Texte formte Maurice die Symbole des späten Kapitalismus zu hübschen Happen. Die Welt von Bilderbuch belebt er mit Coca Cola, Magic Life, Swimming Pools und Rum Kokos. So träumt sich die Mittelschicht einen Traum vom besseren Leben. Echter Luxus kommt in den Texten eigentlich nie vor, sondern stattdessen die Annehmlichkeiten, die das Leben einer Familie mit durchschnittlichen Durchschnittseinkommen viel lebenswerter macht. Das zieht sich auf dem neuen Album „mea culpa“ durch. Die Sehnsuchtsorte heißen hier Megaplex, Lounge und Taxi. Eines aber ist neu, Maurice singt viel von der Liebe. Etwas scheint ihm schief gegangen zu sein, er sucht jetzt im Netz nach süßer, süßer Liebe.

Die Songs fühlen sich anders an. Bilderbuch touren seit über einem Jahr als voll-digitale Rockband, sie jammen miteinandern, schubsen sich musikalische Ideen zu, die sie sich natürlich entfalten lassen. Bilderbuch geben sich mehr Zeit, sie denken ihre Songs über die Refrains hinaus. Für „Megaplex“ dürfte der Track „Child” des französischen DJs Alex Gopher Pate gestanden sein. Auf „Lounge 2.0“ experimentieren sie mit einem House-Beat, ohne dass er abhebt.

Dass „Sandwiches” eine Verbeugung vor dem R’n’B-Musiker Frank Ocean ist, machen sie deutlich, indem sie seine Zeile der „Super Rich Kids“ zitieren. Und auf „Checkpoint“ fangen sie schließlich den Geist der Neunziger besser ein als alle, die einfallsreich Grunge, Indie und Crossover coverten. Denn was das Jahrzehnt wirklich eint, sind die vielen Balladen mittleren Tempos, die sich nicht zwischen Energie und Lethargie entscheiden wollen. Insgesamt ist das sehr schlau. Man schickt die Fans mit dem neuen Style in die Winterpause. Mit „Vernissage My Heart” ist ein weiteres Album für Februar angekündigt, das sommerlicher und klassischer sein soll. So dürfen Bilderbuch gerne niemals stehen bleiben.

 

„mea culpa“ von Bilderbuch ist bereits via Maschin Records erschienen.