Keith Haring: Strich⁄ Code

Keith Haring, Symbole, Zeichensystem

Keith Haring: Strich⁄ Code

Keith Haring war Träumer, Street Artist, Popstar, HIV-Aktivist und Künstler. In den Achtzigern schafft er manisch Werke, die einfach aussehen und dabei vielschichtig sind.

Abstrakte Kunst draußen zeigen? Sinnlos! Warum sollte man Menschen in der U-Bahn mit Dingen konfrontieren, die sie nicht verstehen. Keith Haring entscheidet sich ganz bewusst für einfache Formen. Schnell wird er in New York dafür gefeiert, bald überall. Er studiert Zeichentheorie und findet so heraus, er möchte Bilder machen, die alle verstehen können. Seine Figuren bestehen aus wenigen Strichen, seine Farben sind klar und stark. Er gibt seinen Werken nur selten Titel, um keine Interpretation vorzugeben.

Seine Figuren haben kein Gesicht. Ob sie glücklich sind, traurig oder zornig, kann man nicht erkennen. Dadurch lässt sich nicht sagen, wie es den Menschen auf den Bildern geht. Die Betrachter müssen sich deshalb selbst einen einen Reim auf das machen, was sie sehen. Es ist ja der Kontext, der uns üblicherweise klar macht, was mit Wörtern und einfachen Sätzen gemeint ist. Dieser fehlt aber oft bei Keith Haring. Weil die Formen so reduziert sind, gerät ihre Bedeutung in Bewegung, sie schillern.

Baby, Stab, Pyramide

Ein häufiges Motiv in Harings Bilder ist ein Baby. Es krabbelt, von ihm gehen starke Striche aus, auf englisch wurde es Radiant Baby genannt. Aber warum strahlt es, ist es magisch, soll es uns erlösen, ist ein Symbol für Hoffnung, für ein besseres Morgen? Und was hat die Pyramide zu bedeuten, die immer wieder auf Zeichnungen zu sehen ist, steht sie für Macht, für Unterdrückung, für  altes Wissen, für den Tod? Was hat es mit dem Stab auf sich, den Figuren mit sich tragen, um den gestritten wird, mit dem sie andere durchlöchern?

Keith Haring, Symbole, Zeichen, Albertina
Ohne Titel, 1984 (c) Keith Haring Foundation

Man weiß es nicht. Jedenfalls nicht, wenn man nur ein Bild von Haring betrachtet. Man muss sich viele Zeichnungen ansehen, um eine Idee zu bekommen. Es ist so, als würde man Hieroglyphen entziffern müssen und hat dabei keinen Stein und kein Buch, die sie übersetzen. Kreuze kommen bei Keith Haring nur in bestimmten Kontexten vor, das kann man in der aktuellen Ausstellung der Albertina lesen, Menschen mit Kreuzen würden entweder andere Menschen ermorden oder selbst den Tod finden. Keith Haring möchte keinen Fundamentalismus, keine Ideologien, die ausgrenzen, er war selbst schwul, ein Außenseiter – und evangelikale Priester hatten oft nichts Besseres zu tun, als Leute wie ihn für ihre Sexualität zu verurteilen.

Im strahlenden Baby wollen manche dennoch das neugeborene Jesuskind erkennen, immerhin hätte sich Haring in seiner Jugend christlichen Hippies angeschlossen, den Jesus People. Er selbst meinte, das Kind sei die „reinste und positivste Erfahrung menschlicher Existenz”. Anderes wirkt esoterisch, wenn etwa ein Ufo mit einem Strahl verschiedene Lebewesen aktiviert, immer wieder kommt es wie eine fremde, unkontrollierbare Macht über uns, es kann das Schicksal selbst sein, das unerklärliche Dinge bewirkt. Haring greift aber ganz unterschiedliche Zeichensysteme auf. Neben Christentum und Ägypten gehören Popkultur, Kapitalismus, Informationstechnologien, die Religion der Yoruba oder Street Art dazu.

Kunst kaufen im Pop Shop

Seine Bildsprache entwickelt er in der U-Bahn weiter. Er füllt leere Plakatflächen mit seinen Figuren, seinen Urformen, er zeichnet schnell, ohne Korrekturen, man schätzt dass er mindestens fünftausend solcher Arbeiten in weniger als fünf Jahren produziert. Immer häufiger werden sie mitgenommen und verkauft, deshalb hört Haring damit auf. Er probiert gern neue Formate aus, zeichnet auf Planen aus Vinyl, auf Papier und Stahl, er sprüht, malt auf Vasen, er lässt T-Shirts oder Gläser anfertigen, verkauft diese in Manhattan in seinem Pop Shop, weil er glaubt, seine Kunst soll allen zugänglich sein. Eine Freiheitsstatue aus Glasfaser bemalt er in Neonfarben, er arbeitet dabei mit dem Street Artist Angel Ortiz zusammen. Getroffen hat er den damals 14-Jährigen an der Lower East Side, von ihm stammt auch der Schriftzug LAROCK, mit dem die Statue übersät ist. Sie hat Flip Flops an und hält statt einer Fackel eine schwarze Glühbirne in der Hand.

Keith Haring, Symbole, Zeichen, Albertina
Ohne Titel, 1982 (c) The Keith Haring Foundation

Seine Kritik am Kapitalismus und den USA ist nicht wahnsinnig subtil. Auf einem Bild hält ein Riese brennende Null-Dollar-Scheine in der Hand, sein Kopf ist ein Panzer, am unteren Bildrand recken ihm drei Figuren ihre Hände entgegen, beten die Götzenbilder Nation, Waffen und Geld an. Die knapp 100 Werke in der Albertina eröffnen laufend neue Perspektiven auf den Künstler, das kann man ihr hoch anrechnen. Denn wenn man nach Harings Bildern im Netz sucht oder blickt in eine Studentenwohnung, so sind es vor allem bunte Figuren, die tanzen, das Leben feiern, lustige Formationen bilden und einfache, positive Botschaften in die Welt senden. Sie sind einfach, sie sind cool, sie passen zu dem unverbesserlich optimistischen Bild, das man von den USA und seiner leuchtenden Metropole New York haben konnte.

Wenn man aber in den letzten Raum der Ausstellung betritt, sieht man stattdessen ein apokalyptisches Bild, Figuren fallen, hängen kopfüber, klammern sich an übergroße Finger, Monster sind dabei, sie zu verschlingen, es wimmelt, fast wie in einem Bild von Hieronymus Bosch, aber niemand richtet die Menschen, es gibt keine Erlösung, keine höhere Gerechtigkeit, der ganze Grund leuchtet giftig gelb.

Keith Haring, Symbole, Zeichen, Albertina
Ohne Titel, 1983 (c) The Keith Haring Foundation

1980er

Mitte der Achtziger grassiert eine unbekannte Krankheit, vor allem Schwule sind betroffen, sie verlieren Gewicht, ihre Lebensenergie leert sich aus ihnen aus, viele Freunde sterben und viele Sexualpartner, niemand weiß warum. Die Gesellschaft reagiert, indem sie von einer Schwulenseuche spricht, von einer Krankheit, die etwas mit Homosexualität zu tun hätte. Keith Haring malt das Grauen, drei Jahre später wird bei ihm selbst Aids diagnostiziert, im Februar 1990 stirbt er daran. Seine Bilder markieren ein Jahrzehnt, die Achtziger, sie sind zugänglich, viel mehr als die seiner Zeitgenossen, sie wollen Leute erreichen und tun es auch, sind einfach und doch rätselhaft, auf viele Arten lesbar. Auch wenn sie simpel wirken und poppig, es ist die Tiefe, die Haring ausmacht.

 

Keith Haring, bis 24. Juni, Albertina Wien.