Pompeji: Giraffe in Pfeffersauce

Herculaneum, Pompeji völlig einzigartige Antike 01

Pompeji: Giraffe in Pfeffersauce

Der Vesuv hat nicht nur Statuen, Säulen und Amphoren schockgefroren, sondern den Alltag der Menschen. Das macht Pompeji und Herculaneum so einzigartig.

Viele sind geflüchtet, als der Berg explodiert. Nur die sind geblieben, die zu arm sind oder nirgends sonst hin können. Siebzehn Jahre vorher hatte ein Erdbeben – und kleinere folgten – zahlreiche Häuser beschädigt, einige stehen seither leer oder sie werden nicht repariert. Im Jahr 79 bebt die Erde wieder, dieses Mal ist alles anders. Rauch und Asche sprühen für einige Stunden aus dem Berg. Mittags reißt es seine ganze Kuppe fort wie den Deckel eines Dampfkessels. Der Vulkan spuckt sein Inneres aus, der Wind weht nach Südosten, vor allem dort werden Menschen von Steinen erschlagen, die vom Himmel herab regnen, die Dächer zertrümmern und Türen blockieren.

Wer noch hier ist und überlebt, den tötet die Hitze. Der pyroklastische Strom – eine schwarze Wolke aus Asche und Magma – breitet sich schnell aus. Zuerst erreicht sie die nahe Küstenstadt Herculaneum, eine Sommerfrische für reiche Römer, und heizt die Luft auf mehr als 300 Grad auf. Pompeji liegt weiter weg, drei Wellen des heißen Stroms verebben noch vor den Stadtmauern. Die vierte Welle bricht über der Stadt herein und die Menschen, die geblieben sind, sterben in kurzen Augenblicken, ihre Muskeln krampfen, ihre Zehen krümmen sich, die Organe versagen. Viele findet man in dieser Starre, die vom Hitzeschock kommt, sie können oft nicht einmal ihre Hände vors Gesicht halten. Am Ende begräbt sie eine Ascheschicht, die manchmal dicker ist als 20 Meter, für Jahrhunderte.

Herculaneum, Pompeji völlig einzigartige Antike 01 Welle
Druckwelle eines pyroklastischen Stroms (c) Giuseppe Mastrolorenzo

Civitas

Aus der Lava wird neues Land. Herculaneum liegt deshalb heute nicht mehr am Meer. Vom Flughafen von Neapel ist man in einer halben Stunde dort; wahlweise auch im nationalen archäologischen Museum oder in Pompeji. Was hier in den letzten 300 Jahren ausgegraben wurde, ist völlig einzigartig und völlig atemberaubend. Vielleicht mehr noch, wenn man sich vor Augen führt, was danach kam.  Den Begriff „Finsteres Mittelalter“ versucht man heute zu vermeiden, in vielen Bereichen waren die Menschen nach dem Untergang Roms hoch entwickelt. Wenn man sieht, was die Römer vorher schon geschaffen haben, ihre Straßen, ihre Bilder und Fresken, ihre Bäder, ihre Kanalisation, ihre Arenen und ihre Gerichte, so fragt man sich, in welchem Bereich das Mittelalter wirklich weniger finster war.

Artes

Ein Mosaik aus Pompeji zeigt Dareios III. im Kampf mit Alexander dem Großen. Dieser prescht auf seinem Pferd Bukephalos vor und hat die feindliche Leibgarde durchbohrt, seinen Brustpanzer ziert eine Medusa, sein Haupthaar ist gespalten, sein Blick entschlossen. In der Bildmitte geht ein Pferd durch, man sieht es in stark verkürzter Ansicht von hinten, daneben spiegelt sich ein Sterbender im Schild. Die Schlacht tobt und sie kippt gerade, die Lanzen führen in und aus dem Bild, der Streitwagen des persischen Königs hat die Flucht ergriffen. Dieser Moment, der die Antike entscheidend verändert, ist hier meisterhaft mit einer Million Steinen komponiert.

Das Mosaik ist kein Original, sondern es beruht auf einem anderen Bild, das verloren ging. Heute hängt es wie so viele einzigartigen Mosaike im archäologischen Museum von Neapel. Man ist solche Anblicke nicht gewöhnt. Ein Paar blickt die Betrachter auf einem Fresko ganz lebensnah an, er hält einen Rotulus, sie ein Schreibgerät und eine Wachstafel, Zeichen für Bildung. Terentius Neo und seine Frau sind Samniten und doch schon vollwertige Bürger des Reichs, sie betreiben eine Bäckerei, als Mann und Frau sind sie sich ebenbürtig.

De Re Publica

Der Vesuv hat nicht nur Statuen, Säulen und Amphoren schockgefroren, sondern den Alltag der Menschen. An manchen Wänden stehen die Namen jener, die sich zur Wahl als Ädil aufstellen ließen. Er wird gutes Brot liefern, er wird euer Geld nicht verschwenden, kann man etwa lesen. Auch Schmutzkampagnen sind keine Seltenheit. Zwei zwielichtige Frauen werben an einer zwielichtigen Mauer für einen Kandidaten, für einen anderen Kandidaten, so steht es anderswo, würde auch ein Meuchelmörder stimmen. Die Graffitis sind noch deftiger, manche völlig obszön. Einer schreibt auf die Nordwand der Basilika: „Ich bewundere dich, Wand, dass Du noch nicht eingestürzt bist, obwohl du das Gekritzel so vieler Leute ertragen musst.” Doch auch ein Brotlaib ist mit dem Siegel des Sklaven versehen, der ihn hergestellt hat.

De Re Coquinara

Unter der Asche wurde selbst organisches Material erhalten. Es gab damals viel Holz in den Hütten; Bänke, Betten und Balkone, Krippen, kleine Schreine, Truhen und Tische. In einem besonders schönen Haus wurde eine verkohlte Trennwand gefunden, die den Eingangsbereich vom Esszimmer abschirmen konnte.

Die Menschen hier haben überhaupt sehr gut gegessen. Das weiß man, weil Leute wie Professor Mark Robinson die alten Latrinen jahrelang erforscht haben. In den antiken Trümmerlhaufen konnten sie über hundert Arten von Lebensmitteln freilegen, Feigen, Äpfel und Oliven, daneben viel Fisch wie Barsch, Brassen, Aale, Sardinen und Seeigel, aber auch Haie und Rochen. Im Abwasserkanal eines gewöhnlichen Restaurants fand man den Hüftknochen einer Giraffe, daneben Pfefferkörner und Gewürze, die um die halbe Welt gereist waren. Im Imperium herrscht ein langer Frieden und der Fernhandel blüht. Der Wohlstand kommt sehr vielen zugute, nicht nur den Eliten.

Herculaneum, Pompeji völlig einzigartige Antike 01 Efebo 1
Schrein im Haus des Ephebos. (c) Parco Archeologico di Pompei

Naturalis Historia

Dann explodiert der Vesuv. Plinius beobachtet das von der anderen Seite der Bucht, während sein Onkel, Plinius der Ältere, aus Neugierde hin segelt, dort aber auf der Flucht tot zusammenbricht. „Einem bedeutenden Naturforscher wie meinem Onkel erschien dies Ereignis betrachtenswürdig und wichtig“, schreibt sein Neffe 25 Jahre später an Tacitus. Das alles sei am 24. August passiert, aber viel spricht für einen späteren Tag. Die Menschen tragen dicke Kleidung, in einem Weinfass ist schon Most, in den Geschäften können Feigen, getrocknetes Johannisbrot und Walnüsse gekauft werden. Es sind diese gewöhnlichen Dinge, die Pompeji und Herculaneum so außergewöhnlich machen.

 

Pompeji, Herculaneum und im Archäologischen Museum von Neapel.