28 Aug Sozialbauten: Ist das lebenswert oder kann das weg?
Ein Projekt in Amsterdam zeigt, wie man alte Sozialbauten weiter nutzen kann. Auch für Österreich lässt sich daraus lernen.
Einfach abreissen, so wie die anderen Plattenbauten, dachte man. Nur eine Frau lebte noch hier, und der 400 Meter lange Bau am Rand von Amsterdam wirkte wie ein Relikt aus anderen Zeiten. In den Sechzigern sollte hier eine neue Stadt der Zukunft entstehen, die Sozialbauten des Bijlmermeer, hohe Blöcke reihten sich aneinander, sie waren geknickt und sahen von oben aus wie Waben. Dazwischen war viel Grün, mittendurch führte eine Hochbahn bis ganz ins Stadtzentrum. Mehrere zehntausend Menschen sollten hier wohnen. Aber wenige wollten in die Schneise des Flughafens ziehen, stattdessen kamen ab 1975 – nach der Unabhängigkeit Surinames von den Niederlanden – viele ärmere Menschen. Der Ruf war schnell weg.
Teile von Bijlmer wurden bunt bemalt, andere abgerissen. Dann aber regte sich Widerstand, ein Rest sollte bleiben, forderte eine Bürgerinitiative. Der Block Kleiburg wurde um einen symbolischen Euro an ein Konsortium verkauft, das ihn neu gestalten ließ. Zwei Jahre später wurde dieses Projekt mit dem Mies van der Rohe Award ausgezeichnet, erstmals überhaupt hat damit ein sozialer Wohnbau den europäischen Architekturpreis gewonnen. Dadurch sollen zwei Themen wieder zentraler werden: Wie sieht das Recht auf Wohnen heute aus; und wie soll mit dem Bestand der Nachkriegszeit umgegangen werden, der in die Jahre gekommen ist.
Wie wurde das gemacht
Die Plattensiedlung in Amsterdam wurde damals aus Fertigteilen errichtet, die Wohnungsgrundrisse, die Korridore und Balkone sahen überall gleich aus. Mit der Zeit verwaiste das Erdgeschoss, weil dort nur gelagert wurde. Heute leben und arbeiten hier wieder Menschen, die beiden unteren Stockwerke wurden umgewidmet, davor stehen Pflanzen, Glasfronten bringen sichtbar Leben in die Anlage. Das Neonlicht wurde getauscht, sanftere LEDs reagieren jetzt auf Bewegungen. Und die Durchgänge wurden deutlich vergrößert und mögliche Angsträume entschärft. Die neuen Wohnungsbesitzer hatten jetzt mehr Freiheiten. Sie konnten maximal drei Einheiten kaufen und sie verbinden, ganz egal, ob sie neben- oder übereinander lagen, sie entschieden auch, wo ihre Wände stehen, über Küche, Bad, Türen und das Interieur.
Nach Bilbao
Endlich kein Elfenbeinturm! Endlich etwas für Menschen! Schon länger wurde gefordert, dass Architektur wieder würdigen muss, wie alltäglich gewohnt und gelebt wird. Viel zu lange wären die großen Auszeichnungen an spektakuläre Museen, Opernhäuser oder Fakultäten gegangen. Dort konnten sich Architekten austoben. Die baskische Stadt Bilbao hatte vorgemacht, wie ein neuer Kulturbau wie ein freundliches Alien landen und der ganzen Umgebung neue Energie geben kann. Mit der Stararchitektur des Guggenheim kamen Millionen Besucher und hunderte Arbeitsplätze. Zumindest dachte man das lange. Dabei war Bilbao-Effekt die Folge eines viel größeren Programms und ließ sich nicht so einfach auf andere Städte übertragen.
Nur eines von hunderten Betonmonstern
Wohnblöcke wie der in Amsterdam stehen dagegen überall in Europa. Manche funktionieren trotz ihres Rufs erstaunlich gut, manche könnten revitalisiert werden, bei anderen wäre das zu teuer. Im Jahr des europäischen Kulturerbes berührt Kleiburg auch die Frage, wie mit Altbestand umgegangen werden soll. Immerhin habe man dort gesehen, dass diese grauen Platten recht flexibel sein können. Bei einem noch größeren Block steht dieser Beweis aus, dem berüchtigten Corviale im Südwesten Roms.
Liegender Wolkenkratzer
Im Volksmund wird Corviale „die große Schlange“ oder „das Monster“ genannt. Fast einen Kilometer ist der Block lang, rund 7000 Menschen wohnen hier. Die vierte Etage war für Geschäfte und Gemeinschaftsräume vorgesehen, der Plan ging nicht auf, die Flächen wurden besetzt, die Anlage gilt schon lange als sozialer Brennpunkt. Seit Jahren wird gefordert, sie zu überholen. Mittlerweile gibt es ein Siegerprojekt, das allerdings nicht finanziert ist. Die Straße, die nah am Gebäude vorbeiführt, soll weiter nach hinten rücken und durch eine überdachte Promenade ersetzt werden, die Anlage viel grüner werden, und statt nur fünf sind demnächst 27 Zugänge geplant, zudem Geschäfte auf einer zentralen Piazza. So soll die große Schlange in kleinere Einheiten zerteilt werden.
In Österreich ist die Situation nicht ganz so dramatisch, die Moderne hat nicht so tiefe Spuren hinterlassen. Zu den wenigen Ausnahmen gehören etwa die Großfeldsiedlung, das Schöpfwerk, die Per-Albin-Hansson-Siedlung oder die Trabrenngründe. Letztere wurden vor Jahren generalsaniert. Aber auch wenn die Blöcke etwas kleiner sind, hilft es definitiv zu wissen, wie man in ganz Europa mit diesen Betonmonstern umgeht, was funktioniert und was besser weg kann.