02 Feb Raf Camora: Nicht weltberühmt in Österreich
Der Wiener Hip-Hopper Raf Camora ist in Deutschland ein Star. Daheim wird er ignoriert. Warum ist das so?
(Text zuerst in Wiener Zeitung erschienen)
Ganze zwei Alben von einem Wiener waren in Deutschland in jüngster Zeit auf Platz eins der Charts. Und niemand hat hier etwas davon bemerkt. Wie das passieren kann? Ein Rätsel. Zwar kein unlösbares, und auch eines, das viel über die Medienlandschaft in Österreich aussagt. Dennoch ist das bitter. Um das Ausmaß dieser kollektiven Ignoranz zu verstehen, kann man sich vor Augen führen, wie sonst gejubelt wurde, wenn ein Österreicher den Sprung hinüber zum großen Nachbarn schaffte.
“Unsere” Christl Stürmer hieß es damals, als “Lebe lauter” die Eins in Deutschland knackte. Von der ÖVP gab es Versuche, sie vor den Wahlkampfwagen zu spannen – gegen Stürmers Widerstand. DJ Ötzi wurde jahrelang auf Fernsehbühnen eingeladen. Und dann erst der Jubel, als in immer größeren Schüben diverse Indieacts abgefeiert wurden, zuerst Gustav, später Ja, Panik und Soap&Skin, bis sich dann das deutschsprachige Feuilleton fast geschlossen hinter Wanda und Bilderbuch als neuem Austropop versammelte.
Erfolgreichster Rap 2016
Raf Camora… weniger. Er hat ganze 17 Jahre lang in “Wien Rudolfscrime” gelebt, aber als der Erfolg sich immer deutlicher einstellte, war er schon in Berlin. Er rappt anfangs auf französisch, deutlich beeinflusst von der dort viel stärkeren Dancehall-Kultur. Vor drei Jahren hat er sogar einen Amadeus Award gewonnen, er war für den deutschen Echo Musikpreis nominiert, seine jüngeren Alben waren in Deutschland und Österreich immer unter den Top 7.
Und dann kam letztes Jahr im Herbst “Palmen aus Plastik”, gemeinsam mit Bonez MC. Das Album schlug ein wie eine Bombe. Kein anderes Rap-Album hat sich letztes Jahr in Deutschland so gut verkauft. Es ist zudem auch künstlerisch gelungen wie keines zuvor. Raf kämpft mit sich, dem Sinn, der Leere hinter all den schnellen Rollern, dem vielen Dampf vom Dope und Hartz IV. Hohler Angeber-Rap klingt definitiv anders. Fast technoide Sounds verbinden sich geschmeidig mit stark synkopierten Dancehall-Beats. Und in den heimischen Magazinen und Radios herrscht dazu absolute Funkstille.
Wenn man bei österreichischen Medien rundruft, sind die Reaktionen mitunter erschütternd. Name, ja, eh schon mal gehört, ja richtig, ein Wiener, genau, nein, passt nicht so ganz zu unserer Zielgruppe, wird deshalb nicht wirklich gespielt. 40 Millionen Plays hat die Single “Palmen aus Plastik” alleine auf YouTube. Hip Hop ist die Jugendkultur unserer Tage schlechthin. Und während die Radio- und Medienlandschaft altert und ihr die Felle langsam davon schwimmen, verschläft sie gleichzeitig einen der derzeit erfolgreichsten österreichischen Musiker.
Enttäuschte Szene
Laut Julia Gschmeidler vom Hip-Hop-Magazin “The Message” ist die Hip-Hop-Szene von österreichischen Medien sogar so enttäuscht, dass man nur noch auswandern könne. Manche haben ganz mit ihrer Heimat gebrochen.
Bei Kronehit hat man zumindest eine in sich stimmige Antwort parat. Programmdirektor Rüdiger Landgraf erklärt, dass man jene Musik spielen würde, die am stärksten gefragt ist. Und weil niemand weiß, wie das wirklich klingt, ist man auf sehr viel Marktforschung angewiesen. Kennst du den Song, magst du ihn, hast du ihn schon gehört. Die Antworten darauf würden manchmal zu überraschenden Ergebnissen führen. Auf Kronehit lief deshalb Wandas “Bussi Baby” nicht, Seiler und Speers “ham kummst” allerdings schon. Die Hürde für das Tagesprogramm ist dort für Raf Camora, dass seine Musik immer noch nicht genug nach Mainstream klingt.
Isabella Khom, Chefredakteurin von “Noisey Alps”, bringt einen weiteren Punkt ein. Raf Camora würde sich nicht so leicht vereinnahmen lassen. Er lässt sich kein rot-weiß-rotes Mascherl umhängen. Raf Camora ist auch nicht der schlagfertige Kanake, der der autochthonen Bevölkerung erklärt, wie die Jugendlichen heute auf der Straße ticken – eine Rolle, in der Österreichs einziger Rap-Star Nazar häufig um Wortspenden gebeten wird.
Am ehesten noch ist Raf Camora für all jene Leute ein Vorbild, die mit komplizierten Biografien irgendwo in einem der Außenbezirke von einem besseren Leben träumen und währenddessen via Instagram und Snapchat “auf Mörder machen”. Hip Hop als Sprachrohr von sozial Schwachen, das ist eben viel schwerer zu verkaufen.
Ab in die Spezialistennische
Bei allem Bemühen, das es bei FM4 sonst um heimisches Popschaffen gibt, scheint man Raf Camora auch dort ein wenig zu übersehen. Denn auf Tagesrotation liefen seine neueren Songs nicht. Natürlich will man bunt und breit gefächerte Musik spielen und aktuelle Trends präsentieren. Bei kommerzieller Musik verlasse man sich auf die Genrespezialisten, die das ohnehin in Spezialsendungen spielen würden. Ö3 wiederum, das finanziell und für die Reichweite am wichtigsten wäre, spielt ihn ebenfalls kaum. Eine offizielle Begründung war bis Redaktionsschluss nicht zu bekommen.
Und Raf selbst? Ein Interview dazu muss nicht sein, richtet die Presseagentur aus. Man sei ja ganz zufrieden, seine Alben sind sehr erfolgreich, im Sommer spielt er am Frequency Festival, alles gut. Radio, ja, da könnte mehr gehen, Anfragen von Medien gab es sonst keine. Und Raf hätte zu der berüchtigten Radioquote und Wien ohnehin genug gesagt.
Ja, ja, meistverkauftes Rap-Album letztes Jahr in Deutschland. Beinahe klingt das so, als hätte ein guter Freund früher auf einen kleinen VW gespart und plötzlich kann er sich fünf Range Rover leisten. Wenn Österreich also ein Range Rover sein möchte, dann sollte es sich auch so verhalten. Aktuell erinnert es eher an einen kleinen, dreckigen VW.