03 Oct Oper: Arianna macht jetzt digitalen Detox
Naxos liegt im Internet. In der Wiener Inszenierung von Arianna in Nasso verwandeln sich Menschen in ihr digitales Ich und wieder ganz zurück.
Vor noch ein Ton fällt, läuft die Nebelmaschine an. Der Diener eines griechischen Gottes verkündet, dass die jugendliche Bande vor der Tür nichts von moderner Kunst versteht. So immunisiert sich die Inszenierung von “Arianna in Nasso“ in der Kammeroper vom Start weg. Vielleicht ist nichts so wie man glaubt, ein semantischer Nebelschleier zieht auf, erst dann erklingen der ersten Takte der barocken Oper von Nicola Porpora.
Es entwickelt sich eine Dreiecksgeschichte zwischen hohen Adeligen – Theseus, dem Prinzen von Athen, seiner Frau Antiope, der Königin der Amazonen, und Arianna, der Prinzessin von Kreta. Es wird gelogen, gestritten und intrigiert. Immer wieder wiederholt sich der zentrale Satz: “Vertraue keinem, der schon einmal die Treue gebrochen hat.” Am Ende fährt Antiope mit ihrem Gatten zurück nach Athen. Während die verlassene Arianna sich damit trösten muss, dass Bacchus selbst, der Gott der Freiheit, sie vor einem Mann bewahrt, der ihrer gar nicht würdig gewesen sei.
Amazone trifft Animoji
Unter der Leitung von Sergej Morozov wird aus dem Opernstoff eine Metapher über unsere Alter Egos in der digitalen Welt. “Vor Kurzem gab es die Präsentation des iPhone 10, und das ist ein einfaches Beispiel dafür, dass wir unsere Identität verändern beziehungsweise digitalisieren können”, so der Regisseur.
Mit den neuen Animojis wird aus dem eigenen Gesicht ein sprechendes Huhn, ein Hund oder Roboter. Auch Snapchat, augmented reality oder die Art, wie wir uns auf sozialen Netzwerken präsentieren, zeigt der digitalen Welt nur Ausschnitte von uns selbst. Beide überlagern sich aber auch und verbinden sich miteinander. Wir können Rollen spielen, und diese Rollen verändern wieder uns.
Sergej Mozorov verwandelt die Bühne deshalb in einen weißen Raum, der manchmal lila-hellblau schimmert. Er trennt einen Guckkasten von der Bühne ab, bezieht den Publikumsraum mit ein und bestrahlt sogar der Decke des Saals. Menschen und Dinge bewegen wie darin wie in der Oberfläche eines Apple-Betriebssystems. Das grandios aufspielende Kammerorchester verschwindet inmitten der Bühne, es wird von den Sängern auf 360 Grad umkreist.
Im Lauf der Vorstellung verwandelt sich Theseus immer mehr in ein androgynes Wesen und bringt sich am Ende sogar um. Währenddessen geht Arianna einen ganz anderen Weg: “Sie will der digitalen Welt entfliehen, um sich selbst als Mensch zu fühlen“, so Mozorov. Von alledem steht natürlich nichts im originalen Text der Oper. Was auf der Bühne zu sehen ist, hat mitunter wenig mit dem zu tun, was gesungen wird. Dafür erntete die Inszenierung natürlich Kritik.
Metamorphosen
Dabei ist die Idee hinter der modernen Regie nicht ohne große, historische Vorbilder. Der römische Dichter Ovid hat seine Version der Sage von Ariadne (italienisch Arianna) vor über 2000 Jahren niedergeschrieben und seine Sammlung mythischer Geschichten “Metamorphosen“ oder zu deutsch die “Bücher der Verwandlungen” genannt. Selbst Ovids großes Werk ist voller Brüche und Schnitzer.
Sergej Mozorov geht allerdings weit über den Text der Oper und die überlieferte Geschichte der Arianna bzw. Ariadne hinaus. Pistolen, Messer, Blut und Sperma sind häufig zu sehen, wirken mitunter aber wie schlichte Versuche, mehr Spannung zu erzeugen. In der Version von Mozorov treibt es auch jeder mit jedem. Sogar eine Buchsbaumhecke muss daran glauben.
Ergänzt wird das Gesamtkonzept durch die Ausstellung “Diet Mountain Dew“, die im Foyer der Kammeroper einen Einblick in russische Post-Internet-Kunst geben will. Sie stiftet allerdings mehr Verwirrung, als sie erhellt. Für sie bräuchte es Vorwissen. Denn allein der Begriff “post-internet” ist relativ widersprüchlich. Der Ansatz in eine Kammeroper um Exponate zu erweitern, ist spannend, bleibt hier aber ein Rumpf.
Das Ensemble überzeugt. Es wird mit zeitgeistigen Themen auf einen der ältesten Stoffe der europäischen Geschichte losgelassen. Dass dabei nicht jede Idee zünden kann, ist von vornherein klar. Wenn man sich aber auf die Inszenierung einlässt, zünden von ihnen erstaunlich viele.