07 Nov Kolonial: Welt Museum Wien
Indiana Jones hätte seine Freude. Im Weltmuseum Wien sind jetzt Schätze aus ganzer Welt zu sehen. Es hat wieder eröffnet, und damit ein schwieriges Kapitel über Kolonialismus.
In der Bucht von Kealakekua legen sie an, denn das Flagschiff war in einem Sturm beschädigt worden. Aber sie sind nicht mehr willkommen. Ein Beiboot verschwindet, Kapitän Cook ist wütend, er will deshalb König Kalaniʻōpuʻu-a-Kaiamamao als Geisel nehmen. Am Strand entzündet sich die Situation, die Marinesoldaten feuern, aber die hawaiianischen Krieger überwältigen sie schnell. Sie erstechen James Cook. Sie zerstückeln ihn rituell und kochen ihn aus. Er stirbt 1779 bei seiner dritten Weltumsegelung. Nur sieben Jahre später interessiert sich die britische Krone schon nicht mehr für seinen Nachlass. Er wird im Namen von Franz I., dem letzten Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, in London ersteigert.
James Cook
Es sind solche Geschichten, die das Weltmuseum Wien heute erzählen will. Das ehemalige Völkerkundemuseum wurde am Nationalfeiertag festlich eröffnet. Ein Saal ist dort voll mit den Tüchern und Totems, den Masken und Halsketten, die James Cook heim brachte. Wenn man den Raum betritt, betritt man auch die blutige Geschichte des europäischen Kolonialismus. Dieser kostete Millionen Menschen das Leben, viele Kostbarkeiten sind gewaltsam verschleppt worden. Manche wurden geraubt oder weit unter Wert verkauft, andere wurden geschenkt. Die Geschichten der hier ausgestellten Objekte sind teils sehr verworren. Das sieht man etwa am aztekischen Penacho, einem der kostbarsten Stücke im Weltmuseum (siehe Kasten unten).
Museumsdirektor Steven Engelsman hat die Neuaufstellung dirigiert. Er wurde immer wieder gefragt: Klebt Blut an den Objekten? Seine Antwort für die Wiener Zeitung war vieldeutig, nicht für alle Sammlungen würde das gelten. Es bleibt offen, ob damit die halbe oder fast die gesamte Ausstellung gemeint ist. Immerhin, ein ganzer Raum wurde dem Kolonialismus gewidmet. Österreich war bei der Aufteilung der Welt nur Zaungast – ganz im Unterschied zu Frankreich, Großbritannien, Spanien, den USA oder Belgien –, dennoch haben sich ganz erstaunliche Dinge nach Wien verirrt.
Franz Ferdinand
Da wäre die von Fürst Metternich persönlich finanzierte Expedition nach Brasilien, die einen bedeutenden Grundstock für das Weltmuseum Wien legte. Auch Franz Ferdinand bringt einen enormen Fundus von seiner Weltreise mit heim. Drei Tage vor seinem 30. Geburtstag bricht der Thronfolger für zehn Monate zu einer Weltumrundung auf, am 15. Dezember 1893. Franz Ferdinand erschießt tausende (!) wilde Tiere und sammelt auf dem Weg fast ebenso viele Objekte. Mehr als 14.000 sollen es gewesen sein, darunter Waffen, Figuren, Masken, Spielzeug, Kunstwerke und sehr viel Ramsch. Sie wurden geschenkt oder gekauft.
Franz Ferdinand lässt sie später in der Wiener Hofburg unterbringen, in den Wohnquartieren nahe der prachtvollen Marmorsäulenhalle. Nach dem Ersten Weltkrieg wird dieser Corps de Logis als Völkerkundemuseum der Öffentlichkeit übergeben. Dem Thronfolger ist dort heute noch ein Raum gewidmet.
Warum aber überhaupt noch all das ausstellen, diese Zeugen eines längst vergangenen Alltags? Vor hundert Jahren konnte man immerhin noch staunen über die Welt da draußen, die so fern schien. Heute sind fremde Kulturen übers Internet einen Tastendruck entfernt oder mit dem Billigflieger ein paar Flugstunden. Weltweite Migration hat außerdem dazu geführt, dass lokale Traditionen quer über den Globus heimisch wurden und sich immer neu vermischen. Zeigt das Weltmuseum Wien also nur noch Relikte der Vergangenheit, die man genauso gut zurückgeben könnte? Minister Ostermayer war nicht bereit, frühere Renovierungspläne zu tragen. Das Weltmuseum musste sich um zwanzig Prozent verkleinern.
Gerhard Mercator
Für Noch-Direktor Steven Engelman soll das Haus deshalb ein Bezirksmuseum für die fast 800.000 Menschen sein, die mit Migrationshintergrund in Wien leben. Er zeigte sich auch selbstkritisch, es gäbe natürlich immer Fehler bei so einem großen Projekt. Aber die ersten fünfzig, die gemeldet werden würden, sollten eine Jahreskarte bekommen. Kein klassischer Fehler, aber doch schmerzlich, ist dass für die Weltkarten quer durchs Museum die Mercator-Projektion gewählt wurde – die als eurozentristisch gilt, weil sie die Länder des Nordens aufbläht und die wahre Größe von Afrika, Indonesien oder dem Amazonas stark verzerrt.
Das Weltmuseum Wien ist nun vielleicht kein Schönwetterprogramm. Aber es will sich mit Festen, Kaffee und Events auch als sozialer Ort etablieren. Vor allem bietet es eine erstaunliche Sammlung voller komplexer Geschichten, die einem auch noch in diesem Jahrhundert die Welt ein wenig näher bringen können.
Penacho del México antiguo:
Mexiko hätte das prachtvolle Stück wirklich, wirklich gerne zurück. Es ist weltweit einmalig, das einzige verbliebene Exemplar seiner Art. Über 400 Federn wurden eng aneinander gereiht, vor allem grün schimmernde Federn des Quetzal, dazwischen zieren goldene Plättchen den Kopfschmuck. Er soll dem aztekischen Herrscher Moctezuma gehört haben, daher er auch der Spitzname Penacho de Moctezuma. Heute kann man das ausschließen. Ebenso, dass er auf dem Rücken oder als Verzierung eines Schilds getragen wurde. Man weiß mittlerweile, dass er als Kopfschmuck diente.
Wie der Penacho nach Europa gelangte, ist allerdings unklar. Es gibt keinerlei Ausfuhrlisten, auf denen er eindeutig aufscheint. Der Penacho könnte Hernán Cortés als Willkommensgeschenk überreicht worden sein, als dieser vor 500 Jahren bei Veracruz landete, noch bevor er seine Schiffe versenken ließ und anschließend das Aztekenreich blutig eroberte. Erstmals erwähnt wird der Penacho im Inventar der Kuriositäten-Sammlung von Erzherzog Ferdinand von Tirol auf Schloss Ambras. Und hier beginnt das Problem. Man weiß schlicht nicht, ob der edle Hut geschenkt, erkauft oder geraubt wurde.
Ein ganz praktisches Problem ist außerdem, dass die Federn heute sehr zerbrechlich sind. Einmal schon mussten sie renoviert werden, Schädlinge hatten ihnen zugesetzt. Der Transport ist heute deshalb nicht mehr möglich – oder wie das Direktor Steven Engelsman ausdrückte, der Penacho würde Wien verlassen, aber das, was in Mexiko ankommt, wäre nicht mehr der Penacho. Dabei war eine Leihgabe an Mexiko noch vor sechs Jahren fast fixiert, selbst Präsident Klestil und Manfred Swarovski hatten sich für eine Rückgabe eingesetzt. Mit den jüngsten Ergebnissen einer multinationalen Forschungsgruppe werden nun wohl weiterhin jährlich Demonstrationen stattfinden, die eine Rückkehr des mexikanischen Kronjuwels fordern.