04 May Get Out: Schwarz ist das neue Weiß
Lange wurde kein Horrorfilm mehr so gefeiert wie “Get Out”. Das liegt nicht nur daran, wie er Rassismus enttarnt, sondern vor allem an der Brillanz seines Machers, Jordan Peele.
(Text zuerst erschienen in Wiener Zeitung)
Afroamerikaner sind Comedians, Sportler, Rapper, Wissenschaftler, Politiker. Aber Horrorfilmer? Ein Blick auf die bekanntesten Horrorfilme der vergangenen 50 Jahre zeigt schnell, Menschen schwarzer Hautfarbe sind so gut wie nie auf den Plakaten zu sehen, sie überleben nicht, ihre Charaktere bleiben oft oberflächlich. Allein deshalb kommt man diesen Frühling nicht um “Get Out” herum. Weil er eine der äußerst seltenen Ausnahmen ist, in einem Genre, das davon lebt, seine eigenen Klischees immer wieder zu bedienen.
Die Akteure wiederholen sich, das verwunschene Haus, eine arglose Jungfamilie, Dämonen, Hexen oder gleich der Teufel, ein Paar, das sterben muss, Psychopathen in Masken, ängstliche Teenager, die über sich hinauswachsen und ihre ganze Angst besiegen. Jeden Freitag bieten diese B-Movies nachts in hunderten Kinos auf dieser Welt eine kleine, vorhersehbare Katharsis.
Immerzu lächeln
“Get Out” macht vieles anders. Seine Hauptfigur ist ein junger, guter, schwarzer Fotograf, zum Ort des Horrors wird eine US-Kleinstadt-Idylle, in der weltoffene Rentner ihren Lebensabend zubringen und sich die wenigen Afroamerikaner eigenartig bewegen und reden. Sie lächeln immerzu, sind steif und begrüßen andere nicht etwa mit der Ghettofaust, wie das auch Präsident Obama gerne tat, sondern mit festem Händedruck. Im Lauf des Films werden alltägliche Dinge einer reichen Kleinstadt zum schrecklichen Treibstoff der Handlung, eine Teetasse, ein Silberlöffel, Bingo, ein weißer Sportwagen oder eine Reithose. In vielen Details versteckt sich eine ausgeklügelte Symbolik.
So wird Baumwolle, der Hauptgrund warum so viele Menschen aus Afrika über den Atlantik in die Sklaverei verschleppt wurden, zum Hilfsmittel, um auszubrechen. Die blauen Schnürsenkel des Protagonisten stehen im Punk für Antirassismus, die Musikauswahl ist über die ganze Länge voller kluger Andeutungen. Am Ende bleibt das taube Gefühl, dass viele Afroamerikaner noch immer wie Marionetten vom weißen Amerika – in einer Art Sklaverei und Hirnwäsche light – gesteuert werden.
Dass der Film so bemerkenswert ausgefallen ist, liegt vor allem an seinem Autor und Regisseur, Jordan Peele. Er ist kein gelernter Filmemacher und kommt auch nicht vom Horror. Gemeinsam mit Keegan-Michael Key hat er drei Jahre lang eine sehr ungewöhnliche Comedy-Serie für Comedy Central geschrieben und produziert. In einem Sketch versuchen sich beide dort vor einem Nazi-Spürkommando auf der Suche nach “negros” mit weißer Gesichtsfarbe zu tarnen, in einem anderen stellen sich Zombies als Rassisten heraus, die sich weigern, Schwarze zu attackieren. Viele Clips der beiden beschäftigen sich mit dem, was “Get Out” einmal holprig mit “die afroamerikanische Erfahrung” übersetzt. Damit stehen sie in einer langen Tradition mit den größten afroamerikanischen Comedians wie Richard Pryor und Dave Chapelle.
Erwartungen unterwandern
Immer wieder brachten Key und Peele darüber hinaus das Kunststück zuwege, Erwartungen völlig zu unterwandern und ihr Publikum über die Beschränktheit ihrer Welt lachen zu lassen. In einem der Einspieler sind sie Sportreporter, die über die fabelhaften Leistungen einzelner Spieler schwärmen und Züge analysieren, mit professionellen Grafiken und geschliffenen Soundbytes. Einziger Unterschied, es geht um Lehrer, und damit um die Aufmerksamkeit und die Millionenbeträge, die sich die Besten unter ihnen verdient hätten. Dazu kamen damals schon viele Sketches, die zielsicher zwischen Horror und Comedy balancierten. Sie alle waren professionell gefilmt, die Ausstattung, Color Grading und Schauspieler auf dem Punkt. In “Get Out” kommt all das nun zusammen.
Vor fünfzig Jahren, in “Night Of The Living Dead”, überlebt der Held eine Zombie-Invasion, nur um am Ende von einem Haufen Hinterwäldlern erschossen zu werden. Der Film von George Romero ist mit seinem schwarzen Hauptdarsteller eine der ganz seltenen Ausnahmen im Horrorgenre. Damals waren die Toten der Bürgerrechtsbewegung noch in lebendiger Erinnerung. Heute ist Rassismus in den USA in einigen Lebensbereichen eher ein blinder Fleck. In “Get Out” darf man jetzt ohne schlechtes Gewissen über die Amis lachen.