Terrassenhaus: Balkonien, Sweet Balkonien

Terrassenhaus in Österreich

Terrassenhaus: Balkonien, Sweet Balkonien

Kann man in der Stadt wie am Land leben? Terrassenhäuser sind ein Versuch. Wie man gerade im AzW sehen kann.

Es war unerwartet voll. Alterlaa ist ja eigentlich eine Scheibe mit geschwollene Fiass, meinte Hermann Czech recht lakonisch. Außer ihm waren sechs Köpfe angetreten, um sich über ein Haus zu unterhalten, und das Interesse war enorm. Es ging dabei nicht nur um den weithin sichtbaren Wohnpark in Alterlaa, sondern allgemeiner um diese Bauform. Im Südwesten Wiens steht mit dem Wohn- und Kaufpark das bekannteste heimische Gebäude in Terrassenform. Fast 10.000 Menschen leben dort. Und immer dann, wenn es um erfolgreichen Wiener Wohnbau geht, wird Alterlaa mit seinen gestapelten, grünen Terrassen gerne gezeigt. Das Projekt gilt als gelungenes Beispiel einer Satellitenstadt, trotz einiger Kritik ist die Wohnzufriedenheit dort ausgesprochen hoch.

Es beginnt bei Adolf Loos

Ist das schon ein Wiener Fetisch? Das fragt man sich gerade im Architekturzentrum Wien. Vor etwa hundert Jahren wurde in Wien erstmals so gebaut. In noblen Hietzing steht das Haus Scheu. Es heißt so nach dem Ehepaar Scheu, der Anwalt Gustav hatte sich im Gemeinderat sehr früh für Mieterschutz eingesetzt. Im Salon des Hauses gingen Künstler wie Alban Berg und Oskar Kokoschka ein und aus, und dazu gehörte auch Adolf Loos, der das Haus Scheu geplant hatte.

Es sollte sich ins Freie öffnen, selbst dort, wo geschlafen wird. Deshalb kam es zu der terrassierten Lösung, die in Europa einzigartig war. Es kam natürlich zu Protesten. Die Form passte nicht in die Gegend, es war schmucklos, ja der Kaiser selbst hatte seine Probleme mit der modernen Ästhetik. Er ließ die Vorhänge in der Hofburg zum anderen Looshaus am Michaelerplatz hin dauerhaft schließen. Adolf Loos musste dort wie hier Kompromisse eingehen und sich zu Begrünungen verpflichten. Die grundsätzliche Form aber mit den begehbaren Terrassen blieb wegweisend.

Es geht beim Terrassenhaus um die Versöhnung von Stadt und Land, meinte AzW-Direktorin Angelika Fitz bei einem Rundgang. Im Grunde stapelt man dabei nämlich Einfamilienhäuser übereinander. Denn die meisten Menschen möchten am liebsten in ihrem eigenen Haus mit eigenem Garten wohnen, so Michael Pech, der Vorstand des Österreichischen Siedlungswerks später bei der Podiumsdiskussion.

Solche Einfamilienhäuser sind in der Stadt nicht sinnvoll, weil der Platz fehlt und sie teuer und wenig effizient sind. Deshalb wäre das Terrassenhaus so eine gute Mischform, es ist gleichzeitig urban und trotzdem nahe an der Natur. Man erreicht auf relativ wenig Raum viel Nutzfläche und kann die Stadt so verdichten. Innen soll es sich wie ein Einfamilienhaus anfühlen, nach außen hin ist es ein Hochhaus.

Im Grünen

Es gäbe mit dem Terrassenhaus auch einige ganz konkrete, technische Probleme, so Michael Pech. Dazu gehört der Wärmeschutz, der viel aufwändiger als bei Wohnblöcken ist. Viele Bewohner garteln auch einfach nicht. Terrassen sehen nun zwar begrünt recht hübsch aus, wenn aber die Hälfte der Pflanzen einfach nicht gepflegt wird, muss man stattdessen aufwändige Bewässerung planen, dazu Betontröge, die nicht abstürzen können und die von den Wohnungen getrennt sind. Andere Gründe nennt der Architekt Eugen Gross gegenüber dem Standard, es hätte in den Siebzigern einige Brände in Hochhäusern gegeben, da sei der Bau von Hochhäusern eingeschränkt worden. Die Fördersituation hat sich ebenfalls verändert.

Dennoch werden sie immer wieder gebaut, vorwiegend in Wien, aber auch in Österreich. In Graz stehen in St.Peter seit vierzig Jahren über 500 Wohnungen, die saniert werden sollen. Am Ossiacher See steht ein großes Projekt, ebenso an einem Steilhang in Innsbrucker Bezirk Hötting. Ein sehr junges Beispiel findet sich in Simmering. Dort hat sich ein weiteres Problem gezeigt. Meistens würden Bauherren einfach nur Wohnungen verkaufen wollen, die gemischte Nutzung mit Büros, Einkaufen, Pool oder Kultureinrichtungen ist oft nicht vorgesehen, es fehlen die Kontakte und das Know How.

Ist das Terrassenhaus also ein Fetisch? Es löst wohl kein sexuelles Verlangen aus und wird auch nicht kultisch verehrt. Aber es gibt ein neues, starkes Interesse daran. Die Lebensbedingungen vieler Menschen ändern sich, Apps machen die Koordinierung vieler Lebensbereiche einfacher, Co-Housing und Co-Working machen die Runde, während der Wunsch nach Leben im Grünen ungebrochen ist.

Wie soll man da also wohnen? Die eine Lösung für alle gibt es dafür natürlich nicht. Aber in Österreich scheint man sich das Leben auf einer Terrasse oder einem Balkon ganz gut einrichten zu können.

 

„Das Terrassenhaus – Ein Wiener Fetisch?” ist noch bis 9. Jänner 2018 im Architekturzentrum Wien zu sehen. Am 12. November findet eine Exkursion zum Haus Scheu in Wien Hietzing statt.