Olga Neuwirth: Heimat bist du großer

Olga Neuwirth im Interview zu Feminsmus, NWA, Klaus Nomi

Olga Neuwirth: Heimat bist du großer

Die österreichische Komponistin Olga Neuwirth im Interview über Pop, Frauen in klassischer Musik, Honorarreduktionen und Duftwolken.

(Text zuerst erschienen in Wiener Zeitung)

Olga Neuwirth ist eine der bedeutendsten lebenden Komponistinnen. Trotzdem muss sie immer wieder mit einem sexistischen Musikbetrieb kämpfen. Ein Interview über ihre Filmmusik zu “Ich seh, ich seh”, den Einfluss von Rap und Punk auf ihr Werk und ihren Weg durch die österreichische Intendanten-Vorhölle.

Sind Sie bei Proben Ihrer Werke dabei?

Olga Neuwirth: Kommt darauf an, ob man mich dabei haben möchte.

Sind Sie unzufrieden, wenn Sie Ihre Musik nicht erkennen?

Olga Neuwirth: Nur dann, wenn ich merke, dass absichtlicher Unwillen dahinter steckt. Für mich gehört zur Professionalität dazu, dass man auch versucht, das Beste zu geben, wenn einem die Musik persönlich nicht gefällt. Es geht ja, wenn von allen Seiten gewollt wird. Wie letztes Jahr in Paris mit “Le Encantadas”, wo man sich dann fühlt, als würde man mit einem “fliegenden Teppich” abheben . . . (lacht)

Es wurden schon Stücke von Ihnen abgesagt. Kam “Der Fall Hans W.” jemals zur Aufführung?

Olga Neuwirth: Nein. Das Musiktheaterwerk ist seit 2002 mehrmals angesagt und wieder abgelehnt worden, sogar nachdem Elfriede Jelinek den Nobelpreis bekommen hat. Das Libretto von ihr gibt es ja. Eine moderne Fassung des Don Giovanni-Stoffes, die sich auf Tabus unserer Tage bezog. Zwei österreichische Herren durften einen sehr ähnlichen Stoff acht Jahre später realisieren. Da war es ganz toll, das Tabu anzusprechen. Wir durften nicht. Unsere Aussagen waren wohl zu kritisch. Der Frau, dem Werk der Frau wird eben weiterhin nicht wirklich getraut. Schon gar nicht im Musiktheater. Da steckte Sexismus dahinter. Anders ist das nicht zu verstehen, was damals passierte.

Zuvor bei “Lost Highway” war das ähnlich. Da wurde mir Folgendes mitgeteilt: “Drei Frauen sind zu viel.” Das habe ich schriftlich. Dieser klassische Betrieb ist eben noch immer nicht wirklich bereit, eigenständige und eigenwillige Frauen zu akzeptieren, die auch Dinge machen und sagen, die nicht gehört werden wollen. Wer glaubt schon den Worten einer Komponistin? In den 1980ern gab es die vielen Frauen nicht, von denen man heute erfreulicherweise redet.

Aber wenn man genauer schaut, wer dirigiert, wer in den Orchestern sitzt, wer uraufgeführt wird …

Olga Neuwirth: Das meine ich eben. Wo sind sie denn wirklich, all die Komponistinnen im internationalen Musikbetrieb und auf den Konzertprogrammen? In Donaueschingen war ich letztes Jahr die einzige Komponistin. Als dieses Jahr die Dokumentations-CD herauskam, war ich gar nicht dabei. Das Werk der Frau, zumindest im klassischen Musikbetrieb, muss weiterhin nivelliert und runtergemacht werden. Ich kann und will mich nicht dauernd wiederholen und die einzige sein, die Stellung zu dieser Thematik nimmt. Aber ich bin eben eine Frau, eine Alleinläuferin, die sich öffentlich politisch geäußert und eine eigene Meinung und künstlerische Vorstellung hat. Das wurde als Anmaßung und Überschreitung gesehen. Ich muss mit den Konsequenzen leben und das ist nicht lustig.

Haben sich zeitgenössische Musik und Pop über die Jahre angenähert?

Olga Neuwirth: Uns wird ja ständig vorgeworfen, dass wir nicht genug Leute bringen. Wir müssten lernen, uns zu öffnen – bis zu exhibitionistischen Tendenzen, die mir persönlich nicht gefallen. Für mich war es aber immer selbstverständlich, denn ich bin mit Jazz und Pop aufgewachsen. Aber welches Theater, welcher bildender Künstler oder Filmschaffende tritt schon an einen Komponisten unserer Musik heran? Wir gelten als elitär, dieses Label wurde uns aufgeklebt. Wie das an Hillary Clinton in der US-Wahl klebte.

Sie haben sich trotzdem oft gegen Widerstände mit anderen Sparten auseinandergesetzt.

Olga Neuwirth: Fast 30 Jahre später glaubt mir das kaum jemand, weil es selbstverständlich geworden ist. Als ich 1989 einen Schlagzeuger aus einem anderen Raum visuell und auditiv in den Konzertraum übertragen habe, meinte man, ich kann nicht komponieren und wolle nur meine Unfähigkeit mit Video zukleistern. 1998 wurde mein Honorar für meine “Hommage à Klaus Nomi” reduziert, weil es Transkriptionen und Bearbeitungen von Popsongs waren. Weil es als nicht seriös genug galt. Meine Stücke und frühen Experimente mit anderen Medien wurden verachtet, denn sie sollten unsichtbar gemacht werden. Eine Frau kann doch keinen anderen, neuen Weg weisen. Heterogenität wurde mir vorgeworfen.

Heute ist das toll und bei Kollegen ein Merkmal für Bewunderung. “High” und “low” habe ich nie unterschieden. Ich bin mit Vielfalt aufgewachsen, für mich war es selbstverständlich, Pop und Jazz und alle möglichen Zitate und zum Beispiel auch Kinderspielzeuginstrumente auf verstärkten Metallplatten, einzubeziehen. Ich bin daher auch nie die klassisch trainierte Komponistin im traditionellen Sinne gewesen.

Dieses Patchwork-artige hat mich an Hip-Hop erinnert, mit Samples arbeiten, Einflüsse nebeneinander stellen . . .

Olga Neuwirth: Absolut. Meine großen Vorbilder waren NWA, Niggers With Attitude. Ihr Umgang mit Sprache hat mich fasziniert, denn mit 16 mochte ich voluminösen Operngesang nicht. Wie sie mit diversen musikalischen Fragmenten umgegangen sind, ihre Schnitttechniken, die fand ich anregend. Mich interessierten nihilistische Songs. Die Idee der Cut-ups, wie in meinen beiden Kurzopern 1990, da gab es ja auch zwei rappende Figuren, kommt bei mir von Hip-Hop, John Zorn und Burroughs.

 

Olga Neuwirths “Truliade – Zone Zero” wird am 30.11. beim Abschlusskonzert von Wien Modern gespielt.