Festival Business: Hupf in Gatsch

Festival Krieg in Österreich zwischen Barracuda, DEAG, Arcadia

Festival Business: Hupf in Gatsch

Österreichs Festivalszene boomt. Metallica, Iron Maiden, Bilderbuch und hunderte andere Bands treten diesen Sommer überall im Land auf. Machen sich die vielen Festivals das Geschäft kaputt? Nein, findet unser Autor.

(Text zuerst in NEWS erschienen)

Nackter Oberkörper, 69 Jahre, seidiges Blondhaar. Iggy Pop ist geil aufs Leben. Beim Festival Rock in Vienna sang er „Lust For Life“ in den Wiener Nachthimmel. Da war der Ärger schon verflogen, dass sich vorm Eingang des Festivals lange Schlangen gebildet hatten und das Bier zeitweise aus war. Dieses Erlebnis war manchen mehr als 200 Euro wert, um in den innersten Kreis zu kommen, ganz nah an den Idolen, Fotos schießen, Videos machen und gleich posten. Die Stimmung war, das steht in so gut wie allen Berichten, exzellent.

Dabei war Rock in Vienna Anfang des Sommers nicht das typische Rockfestival. Konkurrenten sagen sogar, es ist gar kein Festival. Fast alle Besucher fahren nämlich nach den Konzerten heim, duschen und legen sich ins bequeme Bett. Sie tun sich das nicht mehr an, Zelte und Schlafsäcke schleppen, dazu viel Schnaps und ein kleines Soundsystem, damit der halbe Campingplatz mit fetten Beats beschallt werden kann. „Lärm, Müll, Chaos“ schrieb die „Tagespresse“ im Vorjahr. Eine menschenunwürdige Zeltstadt sei über Nacht an der ungarischen Grenze errichtet worden.

Es ging nicht um Flüchtlinge, sondern um Nova Rock, den Klassiker unter den österreichischen Festivals, das seit 2005 jährlich in Nickelsdorf stattfindet. Nur eine Woche nach Rock in Vienna spielten dort ebenfalls Bands mit lauten Gitarren, Flammenwerfern und wüsten Gesichtern. Der Artikel des Online-Satiremagazins traf ins Schwarze. So stellt man sich Festivals vor: wie Woodstock. Mit Schlamm, Sex, Drogen und ein paar Tage ganz frei von den lästigen Fesseln der Zivilisation. Fast 50 Jahre ist Woodstock her, aber der Mythos lebt irgendwie weiter.

Wenn Freundeskreise und halbe Schulklassen auf Festivals fahren, dann wollen sie dort Spaß haben. Und zwar so, wie sich ihre Eltern es lieber nicht so genau vorstellen sollten: drei Tage breit, Erinnerungslücken, sich ausprobieren in der Anonymität der Masse, Knie aufschlagen, Trichtertrinken und – ohje! – das alles ohne Ohrenstöpsel. Natürlich gehen auf Festivals einige auch alleine ins Zelt schlafen, trinken Limo und essen gesund. Manche Festivalbesucher kommen sogar vor allem wegen der Musik.

Bei Nova Rock Anfang Juni gab es heuer eine Föhn-Station, die super ankam. Frisch duftende Haare während nebenan K.I.Z. „Hurra die Welt geht unter“ rappen.

Umkämpfte Fans

Heute gibt es Festivals für ganz unterschiedliche Geschmäcker. Das führt dazu, dass die Fans noch nie so umkämpft waren, dass sie noch sie so viel geboten bekamen. Im Hintergrund geht es um kleine Fische, die von großen Hechten gefressen werden, und richtig viel Geld.

Einst gab es ein Alpha-Tier, das die Festivalszene in Österreich jahrelang beherrschte; Barracuda heißt diese Firma heute. Ihre Bedingungen mussten Bands akzeptieren, wenn sie bei Frequency oder Nova Rock spielen wollte. Barracuda beherrschte den Markt, galt für manche sogar als „Mafia“. Das war freilich ein bisschen billig. „Nenn mir eine österreichische Band, die vor zehn Jahren eine mittelgroße Halle ausverkauft hätte“, sagt Harry Jenner, Co-Chef von Barracuda. „Natürlich gab und gibt es da super Bands, aber ich muss das ja finanzieren. Es hätte nichts gebracht, wenn die Bands glücklich sind, aber es kommen viel zu wenig Leute. Das Blatt hat sich völlig gewendet. Heute gibt es Wanda, Parov Stelar, Bilderbuch. Und was ist? Sie spielen Headliner oder wirklich gute Slots.“

Das letzte Jahr war sehr, sehr turbulent. Barracudas junge, lokale Konkurrenz Arcadia bekam einen großen, neuen Eigentümer aus Deutschland: FKP Scorpio. Ausgerechnet jene Firma, die nicht nur Europas größter Live-Unterhaltungs-Konzern ist, sondern auch diejenige Firma, von der sich Barracuda vor knapp zehn Jahren frei gekauft hatte. Ein wenig roch das nach Revanche. Die Sache wurde auch nicht besser, als wichtige Leute direkt zur Konkurrenz abwanderten. Dazu gehörte auch Christian Lakatos, der Kopf hinter Urban Art Forms, Österreichs erstem großem Festival für elektronische Musik.

Der nächste Schlag kam im Herbst als bekannt wurde, dass im burgenländischen Wiesen nur mehr Festivals von Aracadia stattfinden würden. Ausgerechnet jene Location, die Barracuda seit 40 Jahren konstant mit aufgebaut und zur Institution gemacht hatte. Kurz zuvor hatte das Unternehmen noch 300.000 Euro investiert. Jetzt wurde es wirklich persönlich.

Schließlich kam auch noch das neue Rock in Vienna mit Bands wie Muse, Metallica, Kiss, Limp Bizkit oder Faith No More – eine Woche vor dem Nova Rock. In Wien. Vor der Haustür des Zielpublikums. Veranstaltet wird Rock in Vienna von der Deutschen Entertainment AG, die sonst Konzerte mit Klassik-Stars wie Anna Netrebko oder Familienshows organisiert.

Den Einstieg ins Rockbusiness ließ man sich viel kosten. Für vier neue Festivals im deutschsprachigen Raum mit fast identischem Lineup setzte das Unternehmen 2015 23 Millionen Euro in den Sand. Allein auf der Donauinsel wurden also mindestens fünf Millionen Verlust gemacht. Heuer im zweiten Jahr lief es schon besser, aber nicht gut. Gerade ist man dabei, sich frisches Geld an der Börse zu holen. Nach außen hin zeigt man, dass alles in bester Ordnung ist: „Wir sind mit dem, was wir bisher mit Rock in Vienna erreicht haben, sehr zufrieden und haben unsere Ziele bereits im zweiten Jahr übertroffen“, sagt Festivalchef Werner Stockinger. Ein Viertel mehr Besucher, sehr wenig Anrainerbeschwerden, der Termin bleibt fix, 2017 wird noch besser, Tickets gibt es bereits.

Heute reden alle ungern über diese Schlammschlacht, die nichts gebracht hat. „Wir konzentrieren uns auf uns“, sagt Harry Jenner von Barracuda. Er kann sich aber Kritik doch nicht verkneifen: „Stell dir vor, wir machen diese 23 Millionen Minus. Es geht nicht einmal gar nicht. Was soll ich dazu noch sagen? Man hat eh gesehen, dass sie nicht wissen, was sie tun.“ Mit der neuen Situation ist er aber nicht unzufrieden. „Es hätte uns nichts Besseres passieren können“, sagt Jenner.

„Es hat geheißen, die Marktbegleiter erfinden Festivals und Lineups neu, aber sag mir einen Act vom Nuke oder Rock in Vienna, den wir nicht schon 800 Mal bei uns gespielt hätte. Die Leute, die uns vorher immer kritisiert haben, merken jetzt, die anderen erfinden das Rad nicht neu, offensichtlich geht es nicht anders.“ Tatsächlich hat sich die Stimmung teilweise gedreht. Viele äußern sich anerkennend, profitieren von der neuen Situation, können gut mit ihnen. Selbst Kritiker müssen den Geschäftssinn der Barracuda anerkennen.

Gut für die Fans

Für Fans ist das toll. Noch nie sind so viele hochkarätigen Bands und gehypte Newcomer bei Festivals aufgetreten wie jetzt. Noch Wochen später wird diskutiert, wer war gut, wer überschätzt, wer hat ein Irrsinns-Konzert gesehen, das alle anderen verpasst haben. Wer hat seine Freunde sitzen gelassen, weil er mitsamt Autoschlüssel einfach auswärts übernachtet hat. Selbst die Urlaubsplanung richtet sich bei manchen nach dem Termin von Großfestivals wie Frequency, Primavera oder Sziget. Vor fünf Jahren wurde in Großbritannien eine Studie veröffentlicht. Britische Festivals bringen stolze 20.000 Jobs, alleine die Nicht-Briten geben über 285 Millionen Euro dort aus. Jedenfalls war das vor dem Brexit so.

Festivals sind nicht nur ein handfester Wirtschaftsfaktor, sondern dienen auch dazu, den Mief von Provinz loszuwerden. In St. Pölten hat sich Bürgermeister Matthias Stadler für das Frequency eingesetzt und mit allen Parteien inklusive Anrainern einen Deal für die Weltoffenheit der Stadt eingefädelt. „Das Frequency ist sicher das größte und markanteste Aushängeschild und zieht nicht nur Gäste aus Österreich, sondern auch aus allen Nachbarländern an“, sagt Stadler. „Durch diese Veranstaltung hat St. Pölten einen eindrucksvollen Imagewandel durchgemacht: Hier ist immer was los!“

Anderswo rumpelt es ordentlich. Das Jazzfest in Wiesen musste zum Saisonstart gleich einmal abgesagt werden. Zu wenige Tickets verkauft. „Wir planen langfristig und glauben an unsere Festivalkonzepte. Diese Festivals müssen etabliert werden, das passiert mit sehr viel Energie, Engagement und Herzblut“, so Filip Potocki von der Arcadia. Der Kurs der DEAG wiederum ist im letzten Jahr um mehr als die Hälfte abgestürzt.

Aber auch beim ehemaligen Alpha, der Barracuda, gibt es Brösel. Das Urban Art Forms wurde gestrichen. 25% der Firma wurden an einen nicht näher ausforschbaren Investor auf den britischen Jungferninseln verkauft. Von 40 Angestellten sind rund ein Dutzend gegangen. Harry Jenner erklärt das so, dass es Umstrukturierungen gegeben habe, aber alles mehr oder weniger nachbesetzt wurde. Das Team sei besser aufgestellt als zuvor. Es gäbe eben viele Gerüchte.

Anfang Mai hat Live Nation ein Büro in Österreich eröffnet. Gegen den Live-Konzern aus den USA wirken alle anderen Festival-Unternehmen winzig. Rihanna, Beyoncé, U2, Madonna: Hunderte Hallen und Festivals in Nordamerika und Europa gehören zu Live Nation. 6,5 Milliarden Dollar setzte das Unternehmen vergangenes Jahr weltweit um – das entspricht fast der Wirtschaftsleistung des gesamten Burgenlands. Was hier auf Österreich zukommt, lässt sich noch nicht abschätzen. Vielleicht erst einmal gar nichts. Vielleicht können heimische Bands in Zukunft sogar viel leichter international touren und mehr Ruhm kassieren, vielleicht saugt man wie bei Facebook und Google auch einfach lokales Steuergeld und viele Jobs ab.

Derzeit ist die Situation für Festival-Fans jedenfalls so gut wie noch nie. Ledrige Rocker, blutjunge Rapper, DJ-Stars, Songwriter mit extremen Gefühlen und Grammy Gewinner, sie alle spielen mittlerweile in Österreich. Dazu noch ein Kübel Bier, ein Schlammloch und die Welt ist erst einmal wieder in Ordnung.

Fast so wie damals in Woodstock.