02 Apr Kimyan Law: Home Is Where The Hatred Is
Gebt diesem Mensch alle Stipendien! Kimyan Law ist die vielleicht größte, unbekannteste Musik-Versprechung in dieser Stadt.
Man vergisst schnell, dass er erst 20 ist. Kein Thema scheint ihn aus der Ruhe zu bringen, dafür erzählt er von Obertönen der Wiener U-Bahn-Linien, vom Sound gefrorener Erde, davon, als Camo & Krooked ihn auf Englisch angeschrieben haben und von Mikro-Drum-n-Bass. Sein erstes Album wurde kurz vor Weihnachten veröffentlicht, hierzulande fast unbemerkt, auch von uns (Stream hier).
Dabei steckt es voller Referenzen, eigenartiger, magischer, unglaublicher Töne und Rhythmen. Vermutlich, weil es auf einem englischen Label erschienen ist und zu Unrecht einen Stempel – Drum’n’Bass – trägt. Das darf sich ganz schnell ändern. Blöd nur, dass ihn Wien immer wieder auf sehr ungute Art an seine Hautfarbe erinnert hat und er deshalb ein Ventil brauchte. Gut, dass das zum Teil die Musik für ihn war.
Du wohnst in Transdanubien?
Ja, ganz weit unten. Noch hinter dem Wald, drei Minuten zu Fuß bis zur Stadtgrenze. Es ist ziemlich ruhig da. Ich wurde dort geboren und bin dort aufgewachsen. Ich muss für die Arbeit an meinem zweiten Album manchmal extrem laut aufdrehen können, um zu merken, ob es satt klingt. Die heutige Jugend hört ja eher laut.
Dann siehst du dich selbst nicht als Jugendlicher? Du bist ja gerade mal seit Weihnachten kein Teenager mehr.
Körperlich. Ich habe in meinem Freundeskreis viele Sachen viel zu früh erlebt. Der besteht nur aus Künstlern, Musikern. Das kommt daher, weil meine Mutter nebenbei klassische Sängerin ist, meine Großmutter Musiklehrerin.
Hast du überlegt Komposition, zu studieren oder ans SAE zu gehen?
Ich habe zu meinem Labelchef zwar gesagt, ich brauch ein Diplom, das ist hier ein Land der Wische, ohne Titel bist du gar nichts. Der meinte dann, ich könne das alles schon. Eigentlich wollte ich mal an die Angewandte, war auch mal Koch, aber ich hab durchs Musikmachen dafür keine Zeit gehabt.
Wie hältst du Kontakt zu anderen, trefft ihr euch, läuft das übers Internet?
Ich hab gemerkt, dass man nie weiß, woher jemand kommt, der Musik macht und wie gut die dann ist. Es gibt sicher tausend andere Leute, die niemand kennt, die irgendwo in Tansania viel bessere Musik machen als wir alle. Aber Vollkontakt ist in Wien die Veranstaltung, auf der ich am häufigsten bin. Die buchen viel aus London, wo man wirklich guten Input bekommt. Dort habe ich auch Blu Mar Ten von meinem Label kennengelernt.
Gerade einmal elf meiner Freunde liken deine Page, wie konnte das passieren?
Ich habe mich nicht geweigert, Leuten Sachen zu zeigen, ich hab es nur nicht getan. Wenn ich etwas beherrschen will, verschwinde ich zehn Monate und komm raus mit dem Meisterwerk. Ich habe Blu Mar Ten das Album geschickt, der das dann in die Welt rausgehaut hat. Davor gab es überhaupt nichts. Erst da haben viele in meinem Bekanntenkreis zum ersten Mal gemerkt, dass ich Musik mache.
Und weil es ein britisches Label mit britischen Presseverteilern veröffentlicht hat, wissen hier noch immer nur wenige davon.
Genau. Camo & Krooked, die ich kenne, seit ich klein war, haben das auch nicht gewusst und mich auf Englisch angeschrieben. Worauf ich meinte, Deutsch geht auch, ich kenn euch ja aus dem Forsthauspark. Darauf sie: Tschuldigung wir wissen nicht genau, was du meinst. Dann ich: Markus, Reini, ich bin der Nico, ich war dieser kleine Sprayer mit dem Afro … Ah ok, was geht, komm zu FM4. Seither war ich da zwei, drei Mal.
Weiß Clara Luzia, dass du sie remixt hast?
Ich war mit meiner Klasse in dem Film “Oh Yeah, She Performs“. Da war sie auch da. Zwei, drei Jahre vergehen, ich klicke entnervt eine Greenpeace-Werbung bei Youtube weg und höre noch, das ist Clara Luzia mit “We Are Fish”. Da hab ich sie angeschrieben, das ging alles wirklich schnell. Ich mag ihre rauchige Stimme, aber in meinem Alter kennt sie ja fast niemand mehr.
Die anderen Vocals sind über das Label zustande gekommen?
Robert Manos ist ein renommierter Drum’n’Bass-Vokalist, der dort extrem berühmt ist. Ich hab den Track nur ans Label geschickt und sie gebeten was zu suchen, dann kamen die Spuren perfekt zurück.
Und die dritten Vocals … Sarah Taisha?
Das ist für sie, das ist eine kleine Schwester. Cherry Lane, also Kirschenallee, ist die Straße, in der sie geboren ist.
Du bist gleich mit House und Garage in die Musik eingestiegen. Für jemanden wie mich klingt das ziemlich ungewöhnlich.
Also, ich hab zuerst Schlagzeug gelernt, seit mittlerweile 16 Jahren, zuerst bei einem Professor vom Konservatorium. Wenn ein Instrument, dann das. Schlagzeug hat mir immer Drive gegeben. Ich hab mir dann ab der vierten Klasse Volksschule immer Musik auf Youtube angesehen. Jazz-Mixes. Per Zufall kam ich dann zu DJ Krush, dann zu Roni Size, Goldie, Logistix.
Mit Acht …
Ja. Ich dachte, das war irgendwie Jazz, aber anders, mehr Drums, schriller. Dann bin ich auf Breaks draufgekommen. Mit 13 hab ich dann gewusst, was Drum’n’Bass ist.
Dann hast du dich selbst mit Youtube erzogen?
Ziemlich. Und alle, die ich kenne, haben etwas abgedeckt. Ich hab in vielen Indie- und Funk-Bands gespielt. Meine Mutter hat Reggae, Soul gehört. Mein Vater HipHop. In der Schule Beatles, Pink Floyd.
Ist Drum’n’Bass bei euch daheim gelaufen?
Gar nicht. Meine Mama weiß, dass ich Fraktal-Drum’n’Bass mache. Es gibt ja Jungle, Tech-Step, Neurofunk, Lounge Core – was man eigentlich Liquid Drum’n’Bass nennt – und jetzt gibt es eine relativ neue Art, die die Labels Autonomic nennen. Was ich mache, weiß ich eigentlich nicht.
Die Platte klingt ja nicht einmal sonderlich nach Drum’n’Bass.
Das mein ich ja. Der Grundrhythmus ist da, der Baukasten, die Drum-Schemata, alles andere darüber ist meine Interpretation. Das war auch mein Ziel.
Hast du musikalische Vorbilder?
Weniger individuelle Vorbilder, eher Klangwolken aus verschiedenen Regionen als Vorbilder. Afrikanische, chinesische, japanische Musik. Es gibt dort eine andere Harmonik. Alles in Richtung Koto und Zither. Ich arbeite auch mit afrikanischer Polyrhythmik, die man hier gar nicht notieren kann.
Du verwendest ja viele Sounds, die einen kurzen Sustain haben, harmonisch machst du dann Cluster aus diesen Sounds.
Ja, Steps, Klacks, alles, was gezupft ist und perkussiver. Wenn man genau hinhört, haben viele Stücke einen plagalen Schluss. Die Harmonien werden anders aufgelöst. Hier ist ja seit Jahrhunderten geradlinig, Radetzkymarsch.
Gustav Mahler hat die Harmonien schon aufgelöst.
Mahler ist super.
Ist Afrika nicht viel zu groß, um von »afrikanischer Musik« zu reden?
Jein. Für moderne afrikanische Musik gibt es drei Hauptlieferanten, die demokratische Republik Kongo, Nigeria und Südafrika. Ich rede aber von Instrumenten, vom Klang, von Rhythmik und den Obertönen. Viele davon habe ich auch zuhause und nehme das für meine Musik auf.
Wenn du von Obertönen redest, sind die für dich fundamental anders.
Ich habe als Kind gemerkt, dass ich um einiges besser als meine Mutter höre – und die hört verdammt gut –, ich war sehr sensibel auf hochfrequente Töne. Ich nehme das anders wahr. Ich kann hier in diesem Café was aufnehmen und in zwei Tagen gebe ich dir einen Track. Weil man aus allem Musik machen kann. Ich kann dir sagen, (schaut auf die Trackliste des Albums und zeigt auf verschiedene Titel) sehr viel Holz, da extrem viel Glas, hier Müll – schon mit Handschuhen –, bei diesem ist alle Mögliche drin von Ping Pong-Schlägern, gefrorene Erde, Reis bis zu Sticks. Und da auf »Solange« sind meine Schwester und ich von einer VHS-Kassette drauf, als wir gestritten haben. Der Track heißt so nach meiner Tante, die ich noch nie gesehen habe.
Warum das?
Sie wohnt zu weit weg, im Kongo. Mein Vater hat 21 Geschwister, manche kennt er selbst nicht, manche sind schon gestorben. Ich kenne selbst nur die Hälfte, weil es wirklich teuer ist, in den Kongo zu fliegen, und weil meistens Bürgerkrieg dort ist. Meine Großeltern waren mit dem Ex-Präsidenten befreundet.
Mobutu Sese Seko?
… wa Zabanga, und so weiter, ja.
War Mobutu Sese Seko ein guter Politiker?
(lacht) Kongo ist das korrupteste Land, das ich kenne. Der größte Importeur von Rolls-Royce. Es wurden sieben Präsidenten bei Anschlägen ermordet. Meine Onkeln und Tanten sind aber wahrscheinlich an Altersschwäche gestorben.
Wie viele Sprachen sprichst du?
Muttersprache französisch. Deutsch, englisch. Halbwegs Gebärdensprache, seit vier Monaten lerne ich japanische Kanji.
Salute ist ja gerade nach London gezogen [Anm.: Wir wurden darauf hingewiesen, dass er aktuell noch in Brighton wohnt, aber London bald kommt]. Dem scheint es dort gut zu gehen. Überlegst du das auch?
Ja, das ist nur eine Frage der Zeit. Und vor allem des Geldes. London ist halt extrem, extrem teuer. Wenn Salute dort leben kann, Respekt, dann hat er es geschafft. Ich habe neben London auch in Manchester und Plymouth Verwandte. Wohin genau ist nicht sicher.
Trishes meinte in seinem Text, dass du nicht sehr in Wien verwurzelt bist.
Nicht wirklich.
Wo bist du so unterwegs?
Am Tag gar nicht. Ich bin nachtaktiv, ich mag Licht nicht. Im Stehbeisl, Kaffee Kafka, innere Bezirke, überall, wo ein bisschen mehr Kunst ist als sonst. Ich mag Clubs eigentlich gar nicht, ich hör auch bei Vollkontakt nur zu und bin nicht der Typ, der dort tanzt.
Magst du österreichischen Film?
Ich mag den »Knochenmann«, mehr als Haneke. Der Hader ist ein Wahnsinn. Ich mag auch Düringer, obwohl den fast niemand mag. Stipsits ist auch lustig und Viktor Gernot.
Liebster Würstelstand?
Ich mag ein paar. Ich leg aber echt Wert auf frisches, gutes Essen, weil ich mal Koch war. Bei vielen bin ich gleich weg.
Jede U-Bahnlinie hat ja einen eigenen Charakter. Du bist viel auf der U2 unterwegs, oder?
Ja, die ist entspannt und am saubersten. Und allein von den Obertönen her sehr leise – im Gegensatz zu U3 und U6, das ist ein Wahnsinn, ohne Kopfhörer ist das wie inmitten von sehr lauten Meerschweinchen.
Welche Musiker mit Gesichtsbemalung oder Masken magst du noch?
Mir fallen gerade nur Horrorfilme ein. Ich bin ein großer Fan von Masken. Das am Cover ist ja eine kongolesische Maske. Ich war mal in Mauthausen und habe in einem riesigen Buch einen Nachnamen gelesen, den ich sonst nur von meiner Familie kenne. Im Archiv in der Herrengasse hab ich herausgefunden, dass das wirklich einer von uns war. Daraufhin haben wir Klans recherchiert. Und unser Clan war vor ein paar hundert Jahren wirklich der Chef-Klan im Kongo. Und das ist die Maske, die unsere Soldaten getragen haben.
Ich dachte, du sagst vielleicht Sbtrkt.
Nein, der geht mir am Arsch. Das passt für mich nicht zusammen. Das ist, als würde er eine Maske von den Osterinseln vergewaltigen. Ich sehe keine Verbindung zwischen dem Sound und der Maske. Wenn Klangkarussell Masken aufhätten, würde ich das mehr sehen, weil sie einen ethnischeren Klang haben. Ich zweckentfremde Dinge auch, aber ich mag es, wenn Dinge eigenständig sind. So wie Amon Tobin. Oder Burial.
Das Artwork wirkt fast poppig.
Der Grafiker, Scott Smith, wollte mich malen. Die Schriften sind typische Schriften der Barbershops im Kongo. Dort siehst du diese Buchstaben wirklich überall.
Wohin geht das nächste Album?
Es wird viel cinematischer, mit mehr Sounddesign. Nicht unbedingt düsterer, aber verschwommener, nicht mehr so unglaublich fröhlich.
Ist “Coeur Calme” für dich denn unglaublich fröhlich?
Nein, es ist scheiß melancholisch. Aber viele Songs heucheln eine Fröhlichkeit vor. Ich hab daran gearbeitet, seit ich 14 war, hab gelöscht, ausgebessert, gelöscht, andere Projekte gemacht, neu aufgenommen, andere Samples verwendet, Projekt nochmal gemacht, Projekt nachgebaut. 2013 hab ich mich dazu gezwungen, Schritt für Schritt durchzugehen, welche Tracks ich wirklich mag und hab dann extrem selektiv gewählt. Das deckt jetzt so ziemlich alles ab. Dass “Copperclock” so viele mögen, ist cool, weil es für mich eines der wichtigsten Lieder ist.
Da meintest du vorher schon mal, dass es dir da am schlechtesten ging.
Das war der absolute Tiefpunkt des Albums, ja. Meine Eltern haben mich süßer als Honig aufgezogen, ich hab eine perfekte Kindheit gehabt. Aber manche Dinge können Eltern nicht verstehen, wenn sie nicht davon betroffen sind – wie meine Schwester und ich, weil wir eben vermischt sind. Manche Dinge kann man nicht aufarbeiten, außer man hat ein Ventil dafür, und meins ist die Musik.
Dieses “vermischt aufwachsen” war also ein Mitgrund, warum es dir nicht gut ging?
Ein Haupt- und Mitgrund. Es kommt drauf an, auf welche Community du stößt. Wenn es nur Leute sind, die rechts außen am Wiener Stadtrand wohnen, dann hast du ausgeschissen, gerade dann, wenn du der einzige Schwarze bis zu achten Klasse bist – und nicht einmal schwarz bist.
Wäre das in London besser?
Schau, irgendwo hat das ja auch mein Wohlgefallen gefunden. Wenn man immer nur mit sich selbst rumhängt, akzeptiert man sich oder bringt sich um. Eins habe ich versucht, jetzt mache ich das andere. Ich merke vor allem, dass die Leute meine Musik schätzen. In London war ich letztens nach einem Set von mir draußen eine rauchen und sehe alles, von Dreiviertel-Kantonesen, Polen, Ungarn, Südafrikanern, da ist Rassismus in der Jugend kein Thema, das ist komplett egal. Hier hab ich alle Augen auf mir. Was auch klar ist, ich bin nur in Schwarz gekleidet, habe blaue Augen, goldene Zähne und einen Afro – aber trotzdem, es nervt.
Sind dir politische Aussagen ein Anliegen?
Noch nicht. Mich hat aber Nazar positiv getroffen. Das ist sozialpolitisch. Ich weiß, wo er herkommt, ich weiß wo ich herkomme. Wir hatten beide Probleme. Bei mir waren es halt Neonazis.
Du drehst auch Filme?
Genau, Kurzfilme. Ich male auch. Mache auch andere Musik. Alles zu seiner Zeit.