10 May Clubkultur: Wien, Where Are Ü Now
In Wien kann bis sechs Uhr gefeiert werden, große Clubs haben eröffnet, die heute weit mehr sind als nur Clubs und Open Air Parties sprießen wie die Schwammerln.
(Text zuerst erschienen im Wien Journal)
Ursula Stressned. Das Video markierte 2011 einen Wendepunkt. Gewidmet war es Ursula Stenzel, der VP-Bezirksvorsteherin des Ersten Wiener Bezirks. Sie möge doch bitte weniger stressen. Gemeint war die Art wie sie nicht nur versuchte, das Zentrum Wiens für Pensionisten fit zu machen, sondern auch die Sperrstunde zu verschärfen. Zu sehen waren im Video Wiener Hipster und Halodris, die Musik des Sommerhits „Barbara Streisand“ machte die Botschaft überaus eingängig. Und Ursula Stenzel war ein dankbares Ziel. Alle berichteten.
Am Ende konnten die Wiener länger feiern, die generelle Ausweitung der Sperrstunde bis sechs Uhr kam endlich. Und weil sich die Stadtregierung für die Wahlen kurz zuvor ein Zuckerl überlegt hatte, waren die Clubs jetzt am Wochenende durchgehend mit der U-Bahn erreichbar.
Neue Clubs, neue Möglichkeiten
Gemacht hatte das Video das Kollektiv copy_paste. Wer das war, wusste man nicht genau. Im Video waren allerdings die beiden Chefs der Pratersauna erstaunlich oft zu sehen, eines damals noch sehr jungen Clubs, in dem vor seiner Neueröffnung windige Deals beim ersten und zweiten Aufguss vereinbart wurden. Vor allem die Leute, die früher den Ton in der Clubszene angaben, mochten die neue Art nicht, wie die Pratersauna aufgezogen wurde, mit viel Marketing, Kooperationen und beinahe wie ein Start-up. Aber die Sauna war zunächst extrem erfolgreich.
Heute lässt sich ihre Handschrift an vielen Stellen in der Stadt ablesen. Die jüngsten Clubs der Stadt – die Grelle Forelle, die Kantine, das Vie I Pee oder die deutlich vergrößerte Auslage am Gürtel – sie alle haben davon gelernt. Die Macher geben Interviews, feiern mit und verkörpern das Image des Clubs. Es reicht heute nicht mehr von Donnerstag bis Samstag einfach nur gute DJs zu buchen. Clubs haben sich Orten entwickelt, die ein Lebensgefühl ausstrahlen. Von der Terrasse mit hausgemachten Burgern, Weinverkostungen, Firmenfeiern über Flohmärkte, einer Bootsregatta im hauseigenen Pool bis zu Album-Release-Parties und After Shows für Modeschulen und Kulturfestivals – es bieten sich heute endlose Möglichkeiten in einen Club zu gehen. Vielleicht ist das auch so, weil sie seit dem neuen Nichtrauchergesetz nicht mehr nach kalten Zigaretten riechen.
Frischluft
Frischluft ist Wien überhaupt groß angesagt. Man geht raus und feiert unter freiem Himmel. Unzählige Veranstaltungen sind aus dem Boden geschossen. Ein veränderter Facebook-Algorithmus macht es möglich, dass Events wie „Geheimer Open Air Rave“ oder „Spontan Techno bei 29°“ tausende Zusagen und rasenden Zulauf haben.
„Es nimmt schon absurde Ausmaße an“, meint Katharina Seidler, die bei Radio FM4, The Gap und der Stadtzeitung Falter die Szene journalistisch beobachtet. Sie selbst hat dabei gar nicht so Lust den Tag ähnlich wie die Nacht zu verbringen. Tausende Wiener sehen das offenbar anders und erobern sich die Stadt mit schnell organisierten Freiluft-Parties zurück.
Tanz durch den Tag und Kein Sonntag ohne Techno heißen zwei der allerersten Veranstalter, die Clubmusik in Wien im großen Stil nach außen getragen haben. Wenn im Sommer neuerdings überall Schanigärten eröffnen, dann drängen auch all die Menschen, die bereits mit elektronischer Musik groß geworden sind, ins Freie. So extrem wie in Belgrad ist die Situation noch nicht. Dort wandern die Clubs einmal im Jahr an die Save hinunter und später wieder Richtung Altstadt. Aber die Wiener Clubkultur hat mittlerweile zwei Gesichter, eines im Sommer und eines im Winter.
Seitenlang Programm
Und das Angebot ist riesig. Glitzernde R’n’B-Club, in denen man lieber ganze Flaschen Wodka bestellt, Kunst-Parties mit Post-Internet-Musik, hübsche Theaterbars, die sich nach der Vorstellung in bespielte Schmusezonen verwandeln, harter Techno in einer umgebauten Parkgarage oder einem alten Zollamt und kleinere Freiräume für verschiedenste Nischen – sie alle haben in Wien Platz. Ende der Neunziger wurde das Partyprogramm im Falter noch auf einer Handbreit abgedruckt. Der wichtigste Club, das Flex am Donaukanal, war für seinen Montag und Dienstag international bekannt. Heute braucht das Programm zwei Seiten, viel hat sich rund um den Freitag verlagert.
„Die Clubs haben gerade einen Run, machen wieder viel selber und verlassen sich nicht nur auf externe Veranstalter. Sie holen sich das zurück“, beobachtet Katharina Seidler eine der jüngsten Entwicklungen. Einen bestimmenden Sound hört sie in Wien gerade nicht. Während in den letzten zehn Jahren zuerst Minimal Techno, dann Deep House, Hip Hop und später roher Techno dominierten, lasse sich das derzeit über keinen Stil wirklich sagen.
Wille zum Mix
Dabei gab es früher immer einige Wiener Besonderheiten. Musikstile des Balkans fanden in der Stadt eines ihrer wichtigsten Zentren. House mit smoothen Saxophonen war zuerst mit Klangkarussells „Sonnentanz“ ein Welthit. Später eiferten ihnen andere lokale Duos wie Flic Flac, Naxxos oder Möwe halbwegs erfolgreich nach. Drum’n’Bass war hier nie tot. Und die jazzige Elektronik aus dem Umfeld des Affine-Labels begeisterte weltweit Auskenner und Liebhaber.
Was Wien dabei gegenüber vielen europäischen Städten auszeichnet, ist die große Durchlässigkeit. Die Getränkepreise sind moderat, die Schlangen kurz, die Stile offen und der Übergang von Konzerten zum Club fließend. Man muss ja gleich nicht das Bild des Wiener Melange bemühen, das schon zu Zeiten von Kruder und Dorfmeister mehr Probleme machte als es half. Aber Wien musste seinen Platz als Schaltstelle zwischen Ost und West nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auch erst einmal finden. In der Clubkultur der Stadt ist der Wille zur Offenheit und zum Mix sehr deutlich erkennbar.