Sohn: Synth-Ich-Maschine

Sohn Junger Hype, Isolation, Wien, Eurosonic - Band und Buzz erfinden

Sohn: Synth-Ich-Maschine

Es könnte morgen vorbei sein, sagt Sohn im Interview. Alle Vorzeichen deuten auf das Gegenteil. In Wien und London wurde der Sound von Sohn erfunden.

(Coverstory The Gap #133)

Nur selten ist einem vorab klar, noch vor dem ersten Konzert, dass da etwas Großes kommt. Bei Soap&Skin zum Beispiel, Left Boy oder Gustav. Man raunt es sich zu, und spätestens, wenn man zum vierten Mal innerhalb von wenigen Tagen darauf angesprochen wird, glaubt man nicht mehr an einen Zufall. Bei Sohn hat es eigentlich sehr wenig gebraucht, um dahin zu kommen – zwei fantastische Singles, einige wenige Bilder – aber sehr viel mehr, was bis dahin vermieden werden musste. Sohn wollte von Anfang an die Kontrolle behalten und will das weiter, bis zu jenem Punkt, an dem das nicht mehr wichtig ist.

Ahnungen, Rätsel

Also baute man Sohn von Grund neu auf, aus körnigen, farbarmen Bildern, leeren Orten und sehr viel Stille. In Sohns Songs ist vieles eben nicht da, abwesend, Sohn »nichtet«. Das ist Kunst, nur andeuten, aussparen, nicht alles sagen und das dazwischen meinen. Wie auf einem Bild von de Chirico, einem Film von Tarkowski, Skulpturen von Oteiza bleiben Teile rätselhaft und lösen sich nicht auf. In den flirrenden Pausen zwischen den stotternd-ziselierten Klicker-Klack-Bzk-Rhythmen verselbstständigen sich die Zeichen und hallen nach – ein Eindruck, der sich durch die mühlartigen, verschleiften Loops noch verstärkt.

Vielleicht war es Sohn deshalb anfangs so wichtig nicht zu sagen, wer da singt, wie alt diese Person ist, welche Hautfarbe sie hat – na gut, weiss, so viel war sicher – oder ob die Eltern nun Diplomaten oder Sozialarbeiter sind. Sohn und sein Manager Hamish Harris mussten immer wieder hart sein und nein sagen, wenn es darum ging, mit wem sie wann und wie reden. Infos wurden absichtlich verknappt, Interviews zurückgehalten. Als FM4 sie spielen wollte, baten sie darum, es nicht zu tun. Sohns Gesicht sah man auf Fotos nur schemenhaft oder im Profil. Beim ersten Sohn-Konzert aller Zeiten sollte niemand ahnen, was da auf einen zukam. Dass dabei ausgerechnet die europäische Booking-Elite zuhörte, beim Eurosonic Festival im niederländischen Groningen, wird nicht geschadet haben – ablesbar dann diesen Sommer an den Line-ups der großen Festivals.

Er weiß das

Sohn weiß, worauf er sich konzentriert, in was er wie viel Zeit stecken kann, und dass so eine Chance nicht oft kommt. Sohn bereitet sich entsprechend minutiös darauf vor. Man kann sich tausend Wege vorstellen, daran zu scheitern, nasse Füße bekommen, Gerätschaften vergessen, sich noch nicht – und wahrscheinlich nie – bereit für so eine große Bühne fühlen, sich verspäten oder den richtigen Zeitpunkt für arge Rockstardrogen kommen fühlen. Die menschliche Psyche ist ein wunderliches Ding und erlaubt sich manchmal Streiche.

Sohn kennt diese Momente bereits. Deshalb hat er acht Wochen lang für den Auftritt geprobt, hat sich auf die Gefahr eingelassen, zu scheitern. Wer würde sich bitte überhaupt so viel Zeit nehmen oder wäre nicht froh über ein paar Gigs, geschmeichelt, dass man sein kleines Strohfeuer gezündet hat und mit einem anderen Menschen nach Hause fahren kann. Das ist schön, aber auch ein bisschen verschenkt, und ja, Sohn weiß das. Wir wollen es richtig machen, sagt er.

Ganz beiläufig erwähnt er beim Interview in der Wiener Bluebox einen Freund eines Cousins, mit dem er am Telefon hing, der zufällig der Manager von Jamie Woon ist. Immer wieder legt er solche Fährten oder deutet im Gespräch an, wie verrückt der Wirbel um Sohn ist. Nun, auch wenn Musikerhitzer nicht unbedingt für jeden zum erweiterten Kaffeekränzchen gehören, kann man doch behaupten, dass fast jeder ein paar lose Bekannte hat – und in Berlin ganz besonders –, die immer gerade kurz vor dem nächsten Wahnsinnsprojekt stehen. Nein, man muss solche Gelegenheiten nützen können. Das ist dann Glück: im richtigen Moment vorbereitet sein. Es kann natürlich sein, dass die Drinks mit Aluna George nur eine Anekdote bleiben oder auch die Remixe für Laura Mvula und Lana Del Rey, aber sie erweitern den Horizont. Am Ende muss die Musik Antworten darauf geben. Denn gutes Marketing kann gequirlte Scheiße nicht in Gold verwandeln – nun, eigentlich ja leider schon, aber nicht im avancierten Pop. Es hilft nur dabei, dass Leute genauer hinzuhören.

Und das sollten sie. Sohn setzt nicht nur überwältigende Pausen, er zerstückelt und entfremdet seine Stimme, zieht Milchglas zwischen sich und seine Person ein. Nebenbei schummelt er ein Stück 90er zurück ins Ohr. Die DNA seiner Synths kennt man von billigen deutschen Trancekrachern. Und wo konnte man Looping und Variation und Wiederholung in letzter Zeit sonst so kalt und klar hören? Interessant ist dabei auch, wie schnell sich für dieselbe Musik die Bezugspunkte ändern. Vor zwei Jahren wäre Sohn noch als Post-Dubstep durch die Blogs getrieben worden, auf Augenhöhe mit James Blake, mehr Club, mehr Klangkirche, vielleicht mit einem zarten Hauch Hauntologic Pop. Heute rückt man die behutsam zerstückelten Stimmen lieber in die Nähe von R’n’B. Mit beiden hat Sohn genug zu tun, um 2013 als neues Ding durchzugehen, aber auch so wenig, dass es kein Problem wäre, wenn eines davon plötzlich vor lauter gleichförmiger Langeweile implodiert.

Auch wenn Sohn erst vor vier Jahren von London nach Wien gezogen ist, wird er noch länger von hier aus mit seinen sieben Mitmusikern auf Tour gehen. Sohn lebt von dieser Spannung, heimatlos, vielleicht sogar ortlos zu sein. Seine gerade mal fünf Tracks spielen schon ziemlich hervorragend auf den Leitern zerbrochener Seelen.

 

Die Gesprächsaufzeichnung beginnt abrupt am Ende einer Frage. Vorher ging es eben noch um ironische Aneignungen fremder Stile.

… Hipster R’n’B.

Sohn: Es ist verrückt. In England gibt es gerade eine Generation, die New Jack Swing hört. Und furchtbare Musik wie Boys II Men.

Es war doch immer so, Leute machen altes Zeug nach, viele wirklich scheiße, manche sehr cool.

Ja, plötzlich klingt das, wo man sich drei Jahre davor noch dachte: kann man nicht machen, wieder gut. So wie Saxofone und Samples von Leuten, die »Yo« sagen (lacht). Es ist lustig, sich Blogs anzusehen, die mir empfohlen wurden, plötzlich entdecke ich, was da draußen vorgeht und denke mir: Die meinen das nicht ironisch oder, die lieben das einfach?

Hattest du Phasen, in denen du seltsame Stile für dich umarmt hast?

Ich gehe gerade dahin zurück, zu Sounds, die ich früher nie benutzt hätte. Keine Saxofone allerdings, die mache ich beim dritten Orchesteralbum, wenn ich will, dass mich Leute ernst nehmen. (lachen) Viele der Synths, die ich verwende, wären aber vor fünf Jahren schrecklich gewesen, weil sie nach den Presets deutscher Dancemusik aus den 90er klingen. Aber wenn man weiß, wie man Synths wirklich verwendet, kann man ihre Sounds von Grund weg neu designen. Meine kommen großteils von diesem Access Virus Synth. Der ist billig, 300 Euro auf Ebay. Die Leute von Rudimental meinten letztens, oh wirklich, du verwendest den? Wir haben selbst gerade einen gekauft.

Du besorgst dir also Trance-Synths auf Vorrat? Und alte Downtempo-Sampler?

(lacht) Nicht wirklich. Ich verwende hauptsächlich drei Geräte. Hardware Synths, Keyboards und analoge Drum Machines, das ist es. Live kann man tolle Dinge mit dieser Drum Machine machen, aus dem Bauch heraus plötzlich Sachen verändern. Wenn ich im Studio vom Beat ausgehe, spiele ich mich ungefähr eine halbe Stunde damit, nehme auf, was der Song brauchen könnte und schneide dann zusammen. Das Zeug ist aber nicht nach Klick gespielt. Ich arbeite gerade ziemlich wild, nach Instinkt, was sehr schnell geht, das ist der Vorteil. Und ich bin faul und schnell zufrieden, wenn ein Take großteils passt.

Equalizer, Filter und Kompressoren kommen auch von Geräten?

Ja, großteils. Für zwei meiner Tracks hatte ich nicht einmal separate Spuren, sondern nur ein Stereofile. Das war’s. Den Teil sollte ich aber verbessern, damit ein guter Tontechniker etwas damit anfangen kann.

Stereo? Reicht doch. (Gelächter) Gibt es das Album schon?

Nein, noch nicht einmal geplant. Dort wo wir jetzt sind, sind wir eher zufällig gelandet, haben vor allem reagiert. Der erste Track war fertig und mein Manager meinte, wir sollten es jetzt gleich an Blogs schicken. Ich hatte gerade “Osciallate” fertig gestellt und es wurde von ein paar wichtigen Blogs aufgegriffen. Mit “Warnings” wurde dann alles ein bisschen verrückt. Das war vor einem halben Jahr. Jetzt hab ich ungefähr sieben Tracks, Remixe kommen. Ich arbeite schnell, wenn es darauf ankommt. Die Anfrage zum Lana Del Rey-Remix kam um vier nachmittags rein und sie brauchten es morgen mittags. Ich war danach natürlich tot, aber sie haben ihn genommen. Ich dachte nur, echt jetzt? Es war kein wirklich großer Release, aber Blogs und die Leute haben neues Material bekommen, etwas zum reden. Gerade gibt es noch keinen Druck, ich muss aber einiges vorbereiten, mit dem sie arbeiten können, weil ich im März beim SXSW in Texas und ziemlich viel rum sein werde.

Sind die USA denn schon wichtig?

Ja, auf Soundcloud kommen 60 Prozent von da, auf Facebook ähnlich. Wir spielen nach dem Festival noch eine Show in New York und müssen alles machen, alles versuchen, es am Laufen halten und haben auch Angebote von Labels.

Oha, Namen? Universal US?

Ja, sowas. Wir haben noch bessere. (Pause) Hör auf so zu schauen. (Lachen)

XL Recordings, 4AD.

Ja … auch gute Labels. Aber es schüchtert schon ein. Wir wollen es richtig machen.

Ihr braucht also Tracks, Bilder, Videos?

Ja, ich muss jetzt echt aufnehmen, sonst bin ich am Arsch. Bald wird ein Remix für Lauren Mvula – die auf dieser BBC-Liste war – verwendet. Das Live-Setup steht schon, weil wir uns acht Wochen auf das Konzert beim Eurosonic vorbereitet haben. Es war verrückt, wir haben vor Aluna George, Leslie Clio und Rudimental auf einer der größten Bühnen gespielt. Vor der Show meinte die Frau von der Venue, ich sollte nicht zu viel erwarten, weil ich als erster dran war … aber es war komplett voll. Leute mussten draußen warten. Ich wollte mir zwar selbst einiges anschauen, hatte aber Meetings mit Bookern. Es war cool, ein bisschen mit Tom Windish rumzuhängen, der sich die ganze Show angesehen hat.

Denkst du daran, nach London zu ziehen?

Nein. Ich glaube es macht einen wirklich wichtigen Teil meiner Musik aus, dass es diese Trennung gibt, hier die Musik, dort das andere.

Warum bist du überhaupt nach Wien gekommen?

Es war nett. Ich habe Leute aus Bands getroffen, die wirklich cool waren und es gemocht, dass man wirklich innerhalb der Stadt leben konnte.

Jeder sagt das normalerweise über Berlin.

Ja, aber Berlin ist nicht wirklich mein Ding. Ich bevorzuge Wien.

Wien gilt aber auch nicht unbedingt als so ultralebendig.

Das ist wahr, aber ich kann immer für ein paar Wochen nach London. Ich mag die Anonymität hier, obwohl man jeden kennt.

Ist das Teil deiner Musik?

Dass man an einem Ort ist, von wo man nicht kommt, ist definitiv ein Teil. Die Landschaft ist auch sehr wichtig.

Dein Thema ist oft Isolation.

Total. Friedlich alleine sein, das ist dabei wichtig. Es hat auch mit dem Sound zu tun, es gibt so viel Raum für Vocals, die Musik – die für sich alleine auch diese Stimmung hat – verschwindet dann fast.

Das Video zu »The Wheel« lässt mit seinen menschenleeren Landschaften ebenfalls sehr viel Raum.

Noisy wollte das Video machen. Wir haben nur wenige Dinge vorgegeben, beschrieben, worum es in dem Song geht. Berge sind wichtig. Das Mechanische haben sie dazu gebracht, ich hätte nie daran gedacht, aber es ist cool so. Ich habe gelernt locker zu lassen. Berge, das war eigentlich auch ein Zufall, als ich mit Christian Pritschl – der übrigens großartige Fotos macht – durch seine Bilder geblättert habe. Das ist es, dachte ich. Es fühlte sich richtig an, und wir ließen es zu, dass sich diese Linie weiter durchzieht.

Die Bilder von Sohn sind generell sehr körnig, haben kaum Farbe und sahen bisher zwar nach Instagram aus, aber ohne die beschissenen Teile.

Ja, weil es echte Bilder sind. Isolation, danach suche ich und eine gewisse Weichheit. Wenn auf dem Bild fünf Häuser wären, würde es nicht passen, es geht nicht um Gemeinschaft.

Magst du Bob Ross?

(lacht) Meine Mutter hat Bob Ross-Zeug gemalt, ungefähr 35 Leinwände. Es wird bald Leute geben, die New Jack Swing hören und wie Bob Ross malen. (lachen)

Hörst du R’n’B?

Ich hab da Phasen und war nicht so beeindruckt von vielem, über das letztes Jahr so geschwärmt wurde. Vielleicht, weil ich gerade nicht so wütend bin. Weeknd ist schon ok, aber ein bisschen zu sehr diese Saxofon-Ecke.

Das ganze Frank Ocean-Album wird oft unter dem Überthema Isolation betrachtet.

Ja, ich mag sein Zeug, hab aber nur zwei Tracks gehört. Aber um ehrlich zu sein, muss ich mir viel mehr Musik anhören, weil ich wohl bald Mixtapes und DJ-Sets vorbereiten muss. Mein Manager ist wirklich tief in dieser Londoner Szene drin, ohne ihn hätte ich nie so früh von Aluna George gehört.

Eigentlich gibt es da viele Ähnlichkeiten zu Sohn, sie sind nur mehr Pop.

Ja, sie sind gut. Sie sind zweite im BBC Sound Of 2013 geworden, was ungefähr sechs Monate automatisches Airplay bedeutet, vermute ich. Heute ist das anders als noch vor fünf Jahren. Man muss heute laufend aktiv sein. So wie wir an das Projekt rangehen, heißt das nicht mehr: ein Album, zwei Jahre später das nächste. Versteh mich nicht falsch, aber ich könnte morgen verschwunden sein. Zwei schlechte Releases und du bist weg. Es ist so einfach. An diesem frühen Punkt müssen wir sehr vorsichtig sein. Das ist, was ich vom Eurosonic mitgenommen habe.

Bringt ihr live eure Lichtshow mit? Spezielle Birnen?

Ja. Wir entwickeln das noch fertig, auch wenn wir viele Festivalshows spielen werden, bei denen es noch hell sein wird. Natürlich werden wir früh dran sein. Unser Sound ist aber überraschend festivaltauglich, eine riesige Wand aus Synths, wie eine Welle, vielleicht wie bei einem Sigur Rós-Konzert. Wir haben das immer wieder in einem Club in Aflenz geprobt, um sicher zu gehen, dass sich das übersetzt. Wir sind dabei wirklich elastisch und flexibel auf der Bühne und brauchen nur ein paar Schlüsselsignale, um den Song zu entwickeln.

Wissen Leute in England, was Sohn heißt?

Nein, die meisten wissen nicht einmal, wie man es ausspricht. Manchmal buchstabieren sie es sogar, generell aber gibt es drei Arten. Sohn klingt weich, ist aber gleichzeitig sehr stark. Aber sogar auf Deutsch denkt man an nichts Bestimmtes. Ich hab es meinem Manager einen Tag vor der ersten Single vorgeschlagen, der meinte nur: Ich liebe es, was heißt es?