Wien Modern: Österreich vs Großbritannien

Wien Modern: Musikalischer Ländervergleich Österreich vs Großbritannien

Wien Modern: Österreich vs Großbritannien

Ein popkultureller Ländervergleich in 12 Stationen, trennscharf mit dem semantischen Taschenfeitel filettiert, arithmetisch ausgemessen und mit qualitativer Feldforschung abgesichert.

(im Katalog von Wien Modern erschienen)

Leopold I. vs Wilhelm I., der Eroberer

Die Wurzeln der nationalen Erregung: zwei sehr unterschiedliche Nationenbegründer vor rund tausend Jahren. Dem einen wurde um 976 ein Flecken Land um Neuhofen an der Ybbs einfach geschenkt, der andere brachte 1066 rund 7000 Mann mit einer Flotte nach England und führte eine blutige Schlacht, um die britischen Inseln zum historisch letzten Mal einzunehmen. Von der geschichtlich ersten Erwähnung Ostarrichis im Jahr 996 existiert gerade mal ein mageres Stückchen Pergament mit Kaffeeflecken, während die Eroberung Englands zu einem 69 Meter langen, kunstvollen Teppich – dem Teppich von Bayeux, einer Art Frühform des Kinos – verwoben wurde. Wilhelm der Eroberer ist die heller leuchtende historische Figur. Allerdings würdigt eine zeitgemäße Geschichtsschreibung vor allem die Diplomaten, Förderer von Kunst und Wissenschaften oder auch einen Markgrafen, der das versehentliche Opfer eines Mordanschlags auf den eigenen Vetter wurde – wie etwa Leopold I.

32 : 38

Haydn vs Händel

Sie sind beide für die Musik des 18. Jahrhunderts die vielleicht überhaupt prägendsten Komponisten ihrer Ecke der Welt. Der eine ist großer Daddy der Wiener Klassik, der andere gilt als ein Hauptvertreter der Musik des Barock. Haydn besuchte mehrmals England und komponierte einige seiner bekanntesten Werke dort (Paukenschlag, Militärsymphonie, Londoner Symphonie). Der andere blieb gleich ganz in London und wurde schon bald nach dessen Tod zu einem der ersten schweren Fälle für musikalische Brauchtumspflege. Zudem inspirierte G.F. Händel F.J. Haydn zu dessen Oratorium „Die Schöpfung“. In Boston existiert seit 1815 eine „Handel and Haydn Society“, die sich der Pflege und Aufführung von barocken und klassischen Werken widmet. Eine klare Angelegenheit, hier muss es ganz eindeutig zwei Sieger geben.

100 : 100

Burenwurst vs Fish’n’Chips

Die Burenwurst verbreitete sich in Österreich zur Zeit des zweiten Burenkriegs (1899-1902), Fish’n’Chips in England cirka vierzig Jahre früher. Der Fisch für Fish’n’Chips ist heute meistens giftig und vom Aussterben bedroht. Schadstoffbelastete Meere, überfischte Meere, ansteigende Meere – was aus den Ozeanen kommt, sorgt meistens für Ärger. Wurst wird dagegen formschön aus Tierresten recyclet und kann für Vegetarier und Lohas (Akronym für Lifestyles Of Health And Sustainability) auch wahlweise mit Sägespänen oder Soja befüllt werden. In Sachen Nachhaltigkeit hat die Burenwurst also klare Vorteile. Beides sind traditionelle Geschenke für Touristen nach einem exzessiven Club- oder einem gepflegten Konzertbesuch, sie werden allerdings zunehmend zu Reliquien nationaler Vergangenheit, zu essbaren Volks-Phantasmen, da beide heute bereits durch Pizzaschnitten, Falafel, Asia-Snacks und Döner weitgehend verdrängt sind.

16 : 9

Stockhausen vs Beatles

Mit „Revolution 9“ entdecken die Beatles auf ihrem weißen Album 1968 das Tonstudio als Instrument. Über acht Minuten lang schichtet John Lennon Spuren, Bruchstücke, filtert sie und effektiert sie. Das Stück ist allerdings umstritten, unter Beatles-Fans sowieso, aber auch unter Kritikern, weil Popbands doch bitte die Finger von Ausflügen in die höheren Sphären von Sound- und Tape-Kompositionen zu lassen hätten. Inspiriert war das Stück von Stockhausen, möglicherweise „Hymnen“ (1966-67), aber auch Musique Concrète, John Cage und Yoko Ono. Karl-Heinz Stockhausen wurde schon auf dem Cover des Beatles-Albums „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ (1967) abgebildet. Sowohl Paul McCartney als auch John Lennon schätzten bereits früh sein Werk, zitierten in „Tomorrow Never Knows“ (1966) wohl dessen „Gesang der Jünglinge“ (1956) und vereinzelt schickten sie sogar Weihnachtsgrußkarten (1969). Stockhausen selbst, nun, kein Österreicher, aber wie viel Zeit haben Sie?

66 : 66

Falco vs Beatles

Falco und die Beatles sind mutmaßlich die einflussreichsten Pop-Acts ihrer jeweiligen Geburtsländer. Er gilt als der erste weiße Rapper, nicht aber ohne den rhythmisierten Street Talk des Hip Hop in eine ganz eigene Kunstsprache zu überführen. Überaus affektiert mischt er Hochdeutsch, Englisch und Wienerisch. Mit dem vollständig in kurzen Clips verfilmten Album „Junge Römer“ (1984) probiert er neue kreative Formate aus. „Rock Me Amadeus“ (1985) ist nebenbei noch heute die einzige deutschsprachige Nummer Eins in der Geschichte der US-Charts. Inszenierungen, Überspitzungen, Übertreibung und lustvolle Dekadenz gehörten zentral zu Falcos Arbeit und Persona. Dementsprechend werden einzelne Songs von den Sendeanstalten boykottiert (u.a. „Ganz Wien“ und „Jeannie“). Anders die Beatles. Sie sind Lieblingsschwiegersöhne und decken schon Mitte der Sechziger Jahre ungefähr 92% der Vielfalt damaliger Popmusik ab. Mit ihnen verlagert sich der globale Pop-Fokus erstmals aus den USA auf britische Popmusik. Und mit ihnen reift eine ehemals einfach gefertigte Musik für die Massen zu einem differenzierenden Kulturgut heran, das die technischen und sozialen Bedingungen seiner Gegenwart mitdenkt. Beide schafften den Sprung über den Teich in die USA. Beide hatten nie ein Problem damit ihr Gesicht mitunter für zweifelhafte Anlässe grinsend in die Kamera zu halten. Sonst aber sind diese Pop-Aushängeschilder recht verschieden.

49 : 51

Austropop vs Britpop

Austropop entdeckt nach Jahrzehnten des Coverns englischer und US-amerikanischer Vorbilder erstmals die deutsche Sprache und schafft so etwas wie eine originär österreichische Popmusik, die einen eigenen Gestus und Themenbereiche bespielt. Leute wie Helmut Qualtinger, André Heller, Kurt Sowinetz oder Wolfgang Ambros erkundeten ausgehend vom Wiener Lied bereits früh im Wiener Dialekt die Zwiderheiten und Zumutungen des Lebens. Zum Pop wurden diese Lieder aber erst in affirmativen Umdeutungen wie „Schifoan“, „Life is Life“ oder auch „I Am From Austria“ seit Mitte der Siebziger Jahre. Songs wie diese besingen gewöhnliche Momente, alltägliche Dinge und überhöhen sie zu kleinen Hymnen des Augenblicks. Britpop entstand im UK später, Anfang der Neunziger Jahre, als Reaktion auf Grunge, und Teenage Angst aus den USA. Auch Britpop fokussiert wieder auf den Alltag: Hunderennen, Lager-Bier, New Labour und Fußball. Popmusik kommt eigentlich aus England, doch nach den trostlosen Jahren unter Margaret Thatcher muss Pop erst über die Revivalschleife als Britpop neu entdeckt werden. Austropop war dennoch früher da.

123 : 80

Kraftwerk vs Depeche Mode

Kraftwerk waren keine Stockhausen-Schüler. Eines der meistkolportierten Fehlinformationen der Popmusikgeschichte trifft vielmehr auf zwei Mitglieder der bedeutenden Krautrock-Quartetts Can zu. Das Wort „Krautrock“ selbst ist Anfang der Siebziger Jahre wiederum eine britische Erfindung, ist ein sehr unscharfer, anfangs abschätziger Begriff für die steifen, vermeintlich fast seelenlosen Rock-Rhythmen der Krauts, für Maschinenfunk aus Germania. Doch bald kehrte sich das Siegel für viele englischen Hörer ins Positive um. Der Vorstellung von klingender Mechanik, von Schaltkreisen und Elektronengehirnen entsprach kurz später Kraftwerk noch deutlich stärker als Can. Wie sonst niemand vor ihnen, brachte Kraftwerk die Roboter zu singen. Keine Band aus dem deutschen Sprachraum übt und übte auf Popmusik einen derartigen Einfluss aus. Mit einer strengen und überaus konsequenten Ästhetik der Biotechnologie (Mensch-Maschinen am Cover, auf Pressebildern, in der Musik) wirkt die von ihnen geschaffene Ästhetik von Techno und Synth-Pop bis in den Hip Hop fort. Depeche Mode kopieren das, legen existenzielle Ängste dazu, sind damit unheimlich populär, erfinden aber sonst rein gar nichts. Kraftwerk waren allerdings auch keine Österreicher.

0 : 0

Willi Warma vs The Clash

Ende der Siebziger walzt Punk über England hinweg und will zertrümmern was vorher da war. The Clash kommen leicht verspätet, erst sie laden Punk bis zum Anschlag mit politischen Parolen auf und öffnen ihn in die Richtung von ehemals schwarzen Musikgenres wie Reggae, Rock und Soul. Mit viel Do-It-Yourself-Ethos, einer immer noch erfrischenden Einfachheit der musikalischen Mittel und auch aufsässigem Style bleiben sie Vorbild für Jahrzehnte politischer Rockmusik. In Österreich ist Punk vor allem ein Phänomen der trostlosen Industriestadt Linz. Willi Warma bringt Punk aus London mit, reichert ihn mit Pop-Feeling und melancholischen Außenseiterthemen an und schreibt mit „Stahlstadtkinder“ eine heimliche Gegenhymne für das Leben in der Stadt. Nur mit der Strahlkraft von The Clash kann sich Willi Warma nicht messen.

69 : 69

Kruder Dorfmeister vs Gilles Peterson

Das Original ist nicht immer besser. Im Fall von Downtempo-Elektronik hat sich die Kopie in wenigen Jahren weit über die Vorlage hinaus entwickelt. Denn eigentlich ist der Brite Gilles Peterson seit 1987 nicht nur wesentlich an der Erfindung von Acid Jazz beteiligt, einer essenziell im Mixing eines DJs entstehenden Form von Musik, sondern er brachte Acid Jazz auch durch regelmäßige Auftritte in Wien nach Österreich. Anfang der Neunziger war der dann eigentlich schon kaputt, doch Kruder Dorfmeister erwiesen sich als dessen zeitweilige Retter. Mit viel Musikalität, aufwendigem und minutiös geplantem Sampling schufen sie neue Tracks, die der Technik des Remixens als eigenständige Kunstform zu ihrem Recht verhalfen. Wie im Vorbeigehen gaben sie zudem dem damals noch jungen Radiosender FM4 sein frühestes Soundsiegel, den Soundtrack zur blockfreien Ideologie nach dem „Ende der Geschichte“ und damit auch eine zeitgemäße Identität im Hier und Heute der frühen Neunziger Jahre.

77 : 7

Österreichische Nationalflagge vs Union Jack

Der eine Nationalwimpel hat einen eigenen Kosenamen und dynamische Längs-, Quer- und Schrägstreifen. Britische Rockmusiker von Morrissey und den Sex Pistols bis Oasis und die Spice Girls haben sich regelmäßig mit dem Union Jack geschmückt (auch wenn manchmal nur von Sicherheitsnadeln zusammen gehalten), das nationale Symbol für sich reklamiert und versucht es mit zeitgemäßen Ideologemen anzureichern. Nicht immer zu ihrem eigenen Besten. Morrissey, der Sänger der Indierock- und Britpop-Pop-Pioniere The Smiths, trug die Flagge 1992 zum Song „National Front Disco“ auf der Bühne und wurde deshalb in den Medien zeitweise boykottiert. Das Select-Magazin titelte ebenfalls 1992 mit der Band Suede vor einem Union Jack und der Headline: „Yanks, go home“ und läutete damit Britpop ein. Der andere Nationalwimpel ist ein geschlechtsloses Ding, ohne Namen und durch diverse musisch weniger begabte Rechtspopulisten in Verruf geraten. Rot-Weiß-Rot ist im österreichischen Pop schon lange nur dann ok, wenn die drei Streifen Teil des Stars Spangled Banners der USA sind.

5 : 95

Fennesz vs Autechre

Christian Fennesz und Autechre sind zwei der wichtigsten Künstler der zeitgenössischen, elektronischen Avantgarde. Beide sind zwar gelegentlich im Konzertsaal zu Gast, sie sind ursprünglich aber jeweils Subkulturen entwachsen. Ende der Neunziger Jahre emanzipiert sich Clubmusik zunehmend von ihrer funktionalen Seite, Sound-Design, Fehlermusik, erweiterte Spielweisen und digital produzierte Klänge werden in einer Zeit, in der Musik kurz vor dem Scheitelpunkt ihrer ökonomischen Ausdehnung steht, zu häufig bespielten Problemfeldern. Autechre sind am Sprung in die Abstraktheit und entwickeln sich zu Popstars experimenteller Dance Music. Bei Fennesz gibt es nur noch Reste rhythmischer Impulse, ansonsten verdichten und zerdehnen sich massive Soundbrocken. Das Besondere daran: Fennesz greift zur Gitarre und traut sich inmitten von strenger Soundforschung wieder Emotionalität und verwaschene Melodien zu. Allein über das Internetradio Last.fm wurde Autechre 11 Millionen Mal gehört, Fennesz über 2,5 Millionen Mal – was ein Vielfaches von selbst bekannteren Austropoppern ist und zeigt zu welch massiver Begeisterung die globale Nische fähig ist.

111 : 99

Olga Neuwirth vs Rebecca Saunders

Es gibt auch heute noch zu wenig klassisch ausgebildete Komponistinnen. Olga Neuwirth und Rebecca Saunders gehören zu den erfreulichen Ausnahmen. Sie haben beide unzählige Preise gewonnen, die meist nach männlichen Komponisten, manchmal auch nach Automarken, benannt sind; was ihre Bedeutung keinesfalls schmälern soll. Stille spielt in den Werken von Rebecca Saunders (geb. 1967) eine besondere Rolle, auch Sound-Eruptionen scheinen der akustischen Leere abgerungen. Olga Neuwirth (geb. 1968) wiederum nennt ihre Musik selbst „Katastrophenmusik“, lässt sich immer wieder von Literatur und Film inspirieren und macht auch abseits von Musik, äh, einigen Lärm. Das Werk beider Komponistinnen wird weitgehend auf klassischem Instrumentarium gespielt, wurde aber noch nicht hinlänglich von Feuilleton und Akademia klassifiziert und mit Begriffen eingekreist. Die Britin ist jedenfalls fast acht Monate älter, also etwas stärker und würde wohl im Daumendrücken gewinnen.

48 : 52

666 : 666 Vollkommen überraschendes Ergebnis: Beide Länder sind gleich böse.